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Land zwischen den Blöcken

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Der im Jahre 1955 abgeschlossene Staatsvertrag hatte für das österreichische Volk nicht jenen demütigenden Charakter, wie der Vertrag von Saint Germain, und er enthält auch keine vom österreichischen Volk als drückend empfundenen Souveränitätsbeschränkungen. Am 26. Oktober 1955, nachdem der letzte fremde Soldat österreichischen Boden verlassen hatte, beschloß der österreichische Nationalrat ein Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität Österreichs.

Es gibt in Europa vor allem zwei Staaten, die sich zur Neutralität bekennen: die Schweiz und Schweden. Die schwedische Neutralität ist nicht — wie im Falle der Schweiz — ein Bestandteil der Verfassung, sie stellt auch keine durch Abkommen mit einem oder mehreren Ländern übernommene Verpflichtung dar. Schwedens Absicht ist es, in friedlichen Zeiten eine Politik zu führen, die eine völkerrechtliche Neutralität im Falle eines Krieges ermöglicht. Daher zieht man es in der schwedischen politischen Terminologie vor, die eigene Politik eher als eine Politik der Allianzfreiheit zu bezeichnen.

Parallelen zu Schweden und zur Schweiz

Gleicht die österreichische Neutralität völkerrechtlich der der Schweiz, so liegt in dem Umstand, daß Österreich Mitglied der Vereinten Nationen ist, eine Parallelität zur außenpolitischen Praxis Schwedens vor. Die österreichische Bundesregierung hat übrigens, so wie dies auch seitens der schweizerischen Regierung immer wieder geschehen ist, von allem Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, daß durch die neutrale Stellung Österreichs keines der Grund- und Freiheitsrechte seiner Staatsbürger berührt wird.

Ich halte die Neutralität für die Österreich aus seiner historischen, geographischen und wirtschaftlichen Lage adäquate außenpolitische Maxime. Je uneingeschränkter wir uns zu ihr bekennen, desto stärker wird die Stellung Österreichs in Europa sein, desto größer unsere Unabhängigkeit und desto sicherer unsere Freiheit.

Die allianzfreien Staaten Europas, unter ihnen vor allem Österreich, Schweden und die Schweiz — Jugoslawien deshalb ausgenomfrüheren Kolonialmächten, errungen, was Ressentiments entstehen ließ, die zu überwinden einer Generation kaum möglich sein wird. Wir haben uns angewöhnt, diese Staaten, die keinem Militärbündnis angehören, sich aber beharrlich weigern, außer in gelegentlichen konkreten Situationen, die kommunistische Ideologie expressis verbis abzulehnen, als neutralistisch zu bezeichnen, zum Unterschied von den Neutralen, die sich grundsätzlich zur politischen Demokratie und zur pluralistischen Gesellschaft bekennen.

Österreich und die Integration

Zu den großen Fragen der österreichischen Politik überhaupt, der Außen- und der Innenpolitik, gehört die Frage der Beteiligung Österreichs an der europäischen Integration. Ich glaube, man würdigt nicht entsprechend die historische Bedeutung der sich gegenwärtig in Europa vollziehenden Entwicklung. Ihre wirtschaftliche Bedeutung liegt ganz einfach in der Tatsache begründet, daß sich die Ergiebigkeit der Arbeit aus dem Maß an möglicher Arbeitsteilung ergibt, denn die berühmte These Adam Smiths „The division of labour is 'limited by the extent of the market“ gilt noch immer, gilt heute mehr denn je. Ich betrachte die Entwicklung zu den europäischen Großmärkten — zur europäischen Integration — als einen Prozeß, der In einem Kausalzusammenhang zur wirtschaftlichen, zur technologischen und zur gesellschaftlichen Entwicklung in Europa überhaupt steht.

Darüber hinaus aber hat die europäische Integration einen großen und durchaus friedlichen politischen Sinn: nämlich die dauernde Überwindung der Gegensätze zwischen den europäischen Völkern, jener Gegensätze, die .in der Geschichte bis 1945 die Ursache von schweren kriegerischen Auseinandersetzungen waren.

Für Österreich stellt sich die Frage nach dem Maße der Beteiligung an der europäischen Integration und hier sind wir nach reiflichen Überlegungen zu der Auffassung gelangt, daß eine Mitgliedschaft in der EWG nicht und eine in der EFTA sehr wohl mit der österreichischen Neutralität und mit den österreichischen staatsvertraglichen Verpflichmen, da es sich um einen kommunistischen Staat handelt — bekennen sich zur Demokratie und zum politischen Pluralismus und sind trotz ihrer qualifizierten Unabhängigkeit, die ein Reflex ihrer Neutralität ist, ein Teil der sogenannten westlichen Welt.

Sie unterscheiden sich dadurch in ihrer politischen und ideologischen Haltung grundlegend von .anderen allianzfreien Staaten, insbesondere in Afrika und Asien. Diese Staaten haben ihre nationale Unabhängigkeit in jahrzehntelangen Kämpfen und schweren Auseinandersetzungen mit westlichen Ländern, denDer Osthandel tungen vereinbar wäre. Wir sind jetzt mitten in einem Prozeß begriffen, über dessen Resultat und Zeitdauer man heute wenig zu sagen vermag. Die wirtschaftliche Bedeutung, die eine echte Beteiligung für Österreich hat, kann in ein paar Zahlen illustriert werden. Der Anteil der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an unserem Export ist ungefähr 50 Prozent, der der Europäischen Freihandelsassoziation nähert sich 20 Prozent und der Anteil der europäischen Oststaaten, Jugoslawien inbegriffen, beträgt ungefähr 17 bis 18 Prozent.

Wär sind natürlich an einer Entwicklung des Wirtschaftsverkehrs mit den Staatshan- delsländern sehr interessiert, aber es gibt natürliche Grenzen einer solchen Entwicklung; sie liegen in der Aufnahmsfähigkeit unseres Marktes für Waren aus diesen Staaten.

Es darf dabei auch nicht übersehen werden, daß sich bei uns eine große Entwicklung auf dem Gebiet der Landwirtschaft ergeben hat, die de facto Österreich in die Lage versetzt hat, sich bis zu einem sehr großen Maß selbst zu versorgen. Es mag in einem höheren Sinn wirtschaftlich zweckmäßig sein, diese Produkte aus Ländern mit billigeren Gestehungskosten und besseren klimatischen und geographischen Voraussetzungen zu kaufen. Aber wir haben uns zu der Erkenntnis durchgerungen, daß einer florierenden Landwirtschaft große politische und soziale Bedeutung zukommt, und wir sind daher Experimenten, die auf eine weitgehende Liquidation der landwirtschaftlichen Produktion hinauslaufen, nicht zugänglich.

Und so möchte ich nun einige Betrachtungen über unsere Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten anstellen: Unser größter Nachbar ist die Bundesrepublik Deutschland. Die Beziehungen entwickeln sich auf der Basis zweier befreundeter unabhängiger Nachbarstaaten, und ich will gerne betonen, daß die Bundesrepublik nicht nur offiziell, sondern auch in ihrer öffentlichen Meinung dieser Tatsache in einer Weise Rechnung trägt, der ich vollste Anerkennung zollen muß. So sind die Beziehungen zwischen Österreich und der Bundesrepublik frei von Ressentiments und frei von Reminiszenzen, und es ist selbstverständlich, daß Österreich der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands, also dem deutschen Problem schlechthin, große Aufmerksamkeit schenkt.

Was das Verhältnis zu Italien betrifft, so möchte ich betonen, daß die wirtschaftlichen Beziehungen äußerst entwickelt sind. Die österreichischen Importe aus Italien werden in diesem Jahr vermutlich nahe der 4-Milliar- den-Schilling-Grenze, das sind zirka 150 Millionen Dollar, kommen, und die österreichischen Exporte nach Italien werden voraussichtlich nicht viel unter 6 Milliarden Schilling, das sind zirka 230 Millionen Dollar, liegen.

Der Pariser Vertrag von 1946

Zwischen der österreichischen und der italienischen Regierung ist über die Erfüllung des Gruber-De-Gasperi-Abkommens ein Streit entstanden, der schließlich vor die Vereinten Nationen getragen wurde und in einer Resolution mündete, die von der Generalversammlung am 31. Oktober 1960 einstimmig angenommen wurde. In dieser Resolution wird den beiden Parteien aufgetragen, Verhandlungen mit dem Ziele zu führen, eine Lösung aller Differenzen hinsichtlich der Durchführung des Pariser Abkommens zu finden, und falls diese Verhandlungen nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraumes zu befriedigenden Ergebnissen führen, eine Lösung der Differenzen durch eines der in der Charta der Vereinten Nationen vorgesehenen Mittel, einschließlich der Befassung des internationalen Gerichtshofes oder durch irgendein anderes friedliches Mittel ihrer eigenen Wahl zu suchen. Die UN-Resolution ist für uns auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie uns eine eindeutige Verhandlungslegitimation, die bis dahin von Italien bestritten wurde, gegeben hat.

Was nun unsere Beziehungen zu Jugoslawien betrifft, so kann ich feststellen, daß sie absolut frei von Friktionen sind. Jugoslawien war der erste Staat mit einer kommunistischen Regierung, mit dem es uns gelungen ist, eine weitgehende Normalisierung herbeizuführen. Jährlich reisen hunderttausende Österreicher an die dalmatinische Küste, um Erholung zu finden, und in immer stärkerem Maße finden jugoslawische Arbeitskräfte in Österreich Verwendung.

Zwischen Polen und Österreich sind im November 1958 die diplomatischen Vertretungen in den Rang von Botschaften erhoben worden. Der polnische Außenminister hat Österreich einige Male besucht und der österreichische Außenminister Warschau. Bei meinem Besuch in Warschau wurde mir Gelegenheit gegeben, in einem Vortrag meine Ansichten zum Koexistenzproblem zu äußern.

Wir neigen der Auffassung zu, nicht nur jene Staaten als unsere Nachbarn zu betrachten, mit denen wir gemeinsame Grenzen haben, sondern glauben, daß durch ein jahrhundertelanges Zusammenleben aus einem Geben und Nehmen im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich die Völker des ganzen Donauraumes irgendwie als Nachbarn anzusehen sind.

Zwischen Bulgarien und Österreich wurden die Beziehungen vor allem durch den am 2. Mai 1963 erfolgten Abschluß des Vermögensvertrages auf eine neue Ebene der freundschaftlichen Zusammenarbeit gehoben.

Die Beziehungen zwischen Österreich und Rumänien haben seit dem Abschluß des Vermögensvertrages gleichfalls eine starke Intensivierung auf allen Gebieten erfahren, die gefördert wurde durch den Besuch rumänischer Staatsmänner in Österreich und österreichischer Staatsmänner in Rumänien. Ich habe die Ehre gehabt, an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bukarest bei einem Vortrag vor Professoren und Assistenten dieser Universität meine Ansichten über die europäische Integration darzulegen, und mein rumänischer Kollege Manescu hat in Wien über die Außenpolitik der Volksrepublik Rumänien gesprochen, so wie Außenminister Rapacki schon vorher einen Vortrag über „Polens Anschauungen zur Abrüstungsfrage“ in Wien gehalten hatte.

Die österreichisch-ungarischen Beziehungen sind nun in eine neue Phase eingetreten. Die Verträge, die wir in diesen Wochen abgeschlossen haben, sind ein erster Beweis dafür. Die Entwicklung unseres Handels läßt Gutes erwarten. Im Jahr 1960 betrugen die österreichischen Importe aus Ungarn mehr als 690 Millionen Schilling, das sind zirka 26 Millionen Dollar, und die österreichischen Exporte nach Ungarn beliefen sich auf zirka 695 Millionen Schilling. Im Jahr 1963 waren es bereits 850 Millionen Schilling, das sind rund 33 Millionen Dollar an Importen und 990 Millionen Schilling oder 38 Millionen Dollar an Exporten. Ungarn nahm 1963 in der österreichischen Gesamteinfuhr den zehnten Platz und in der Gesamtausfuhr den achten Platz ein.

Ein Beweis dafür, daß gegenüber den kommunistischen Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas von beiden Regierungsparteien die gleiche Politik vertreten wird, geht auch aus der Rede hervor, die Bundeskanzler Dr. Klaus bei der Tagung der österreichischen Volkspartei am Semmering gehalten hat und in der er folgendes ausführt: „Und schließlich muß die Politik in Österreich so gestaltet sein, daß sie als Beitrag zur Aufrechtenhaltung eines dauerhaften Friedens in Europa und in der Welt empfunden werden kann. Wenn wir in letzter Zeit wiederholt zu erkennen gegeben haben, daß wir eine besondere Rolle, die Österreich in der Weltpolitik erfüllen kann, auch darin sehen, die Politik nach dem Osten hin zu aktivieren, so nicht, weil wir ideologisch aufgeweicht oder bereit sind, stückweise in einer Annäherungspolitik an kommunistische Regimes von unserer Substanz zu opfern, sondern im Gegenteil, weil wir uns ideologisch stark genug fühlen, weil wir von der Richtigkeit unserer Ideen, unseres Gesellschaftsbildes überzeugt sind, ist es uns möglich, Gesprächssituationen mit unseren östlichen Nachbarn zu akzeptieren. Ein wirtschaftlich lebensfähiges Österreich, das weder im Gleichschritt westlicher, noch im Gleichschritt östlicher • militärischer Bündnissysteme' mitmarschiert, sondern sich, gestützt auf seinen Neutralitätsstatus, auf die Verteidigung seiner Grenzen und seiner frei gewählten Lebensform beschränkt, wird auch in Zukunft ein stabilisierender Faktor im Herzen Europas sein und einen Beitrag zum Frieden in der Welt leisten können.“

Ich bin weit davon entfernt, nun allzu weit gehende Schlüsse auf eine besondere Rolle Österreichs zu ziehen, die leicht mißverstanden werden könnten. Lassen Sie mich deshalb die Rolle Österreichs mit dem, was ich über die Beziehungen Österreichs zu seinem neutralen Nachbarland, der Schweiz, unlängst erklärt habe, kennzeichnen: Die beiden neutralen Alpenrepubliken stellen von der pannoni- schen Tiefebene bis zu den jurassischen Bergen eine Zone des weltpolitischen Disengagement dar, die geographisch präzisiert ungefähr 810 Kilometer in der Länge und in der Breite zwischen 40 und 290 Kilometer umfaßt. In diesen letzten Jahren sind die Schweiz und Österreich in steigendem Maße klassische koexistentielle Begegnungsplätze geworden, und ich will nicht leugnen, daß ich darin einen Sicherheitsfaktor erster Ordnung für Österreich erblicke.

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