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Städte im Allgemeinen und Slums im Besonderen wachsen im Südpazifik überproportional, finden aber seitens Regierungen wie NGOs wenig Beachtung. Dabei sind sie nicht nur von Auswirkungen des Klimawandels besonders stark betroffen, sie zeigen in Sachen Resilienz kreatives Potenzial. Wie dieses künftig genutzt werden kann, das erforscht Alexei Trundle von der Universität Melbourne.

DIE FURCHE: Idyllische Korallenatolle, Sandstrände und beschauliche Dörfer -so stellen wir uns Pazifikinseln vor. Ihre Forschungsarbeit fokussiert sich hingegen auf urbane Strukturen auf Vanuatu und den Salomonen. Warum das?

Alexei Trundle: In den "Small Island Developing States" (SIDS, Deutsch: Kleine Inselentwicklungsländer) des Pazifiks wird erwartet, dass bis 2050 die urbane Bevölkerung um 3,9 Millionen Menschen anwächst - das entspricht dem 3,5-fachen des globalen Durchschnitts. Gerade junge Menschen ziehen in urbane Gebiete und sind dort mit neuen Systemen konfrontiert, die ihrer Art zu leben widersprechen. Sie können nicht mehr auf Subsistenzbasis leben. So ist etwa kein Wald vorhanden, in dem die Menschen Feuerholz sammeln können. Hier findet eine riesige Lernkurve statt - neue Armut entsteht, die von allen Seiten zu wenig Aufmerksamkeit bekommt.

DIE FURCHE: Laut UN lebt weltweit ein Drittel aller Stadtbewohner in "informellen Siedlungen" alias Slums. In Entwicklungs- und Schwellenländern sind es 43 Prozent. Das Wachstum findet vor allem dort statt. Was ist eine informelle Siedlung genau?

Trundle: Das ist eine gute Frage. Die Definition des "United Nations Human Settlements Programme" (UN-Habitat/Programm der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen) nennt mehrere Kriterien: Es fehlt Zugang zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen, die Bausubstanz ist schlecht, es mangelt an adäquatem Wohnraum (Anm.: hohe Belegungsdichte) und Wohn-oder Aufenthaltsrechte sind unsicher. Nachdem nicht klar ist, was unter Letzteren genau zu verstehen ist, sind nur die ersten vier Erkennungsmerkmale in der UN-Habitat Definition inkludiert. Weltweit gibt es etwa 880 Millionen Menschen, auf die einer oder mehrere dieser Faktoren zutreffen.

DIE FURCHE: Sind Strukturen informeller Siedlungen ebenfalls Teil der Definition?

Trundle: Nein, keine Definition geht in diese Richtung. Ich beschäftige mich in meiner Arbeit mit der Frage, wo sich informelle mit formellen Strukturen - Regierungen, Behörden, etc. - überschneiden. Wofür UN-Habitat und auch ich plädieren, ist anzuerkennen, dass nicht alle informellen Siedlungen schlecht sind. Und nicht immer ist es gut, wenn Bewohner aus Slums entfernt und anderswo angesiedelt werden. In Südostasien schlägt oft die Armutsfalle zu, weil Fischer in Bergregionen angesiedelt werden und nicht mehr wissen, wie sie ihre Nahrung beschaffen können. Ich möchte jetzt aber nicht ins Idealisieren kommen. Wenn man sich Favelas in Brasilien anschaut, unterminieren diese mit ihren informellen Strukturen eindeutig formelle Entscheidungen sowie Gesetze und schaffen Konflikte.

DIE FURCHE: Sie beschäftigen sich mit informellen Siedlungen in Port Vila (Vanuatu) und Honiara (Salomonen). Inwiefern trägt der Klimawandel zu deren Wachstum in den letzten Jahren bei?

Trundle: Auf den Pazifikinseln gibt es informelle Siedlungen, seitdem es Städte gibt. Das hängt damit zusammen, dass das Kaufen von Land für den Hausbau ein westliches Konstrukt ist. In Honiara oder Port Vila siedeln sich die Leute einfach auf freiem Land an, und mit dem Wachsen der Familie breitet man sich organisch auf dem Land aus. Der Klimawandel spielt eine interessante Rolle. Im Westen ist von der Angst vor den Klimaflüchtlingen die Rede. Doch was ein Klimaflüchtling ist, ist nicht so einfach zu erklären. Ich kenne persönlich nur zwei Gemeinden, wo man von echter Klimaflucht sprechen kann. Ihre Heimat ist aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels nicht mehr bewohnbar. Andernfalls liegt es oft an mehreren Gründen, warum Menschen ihre Inseln verlassen: Sie brauchen Geld und werden als Wirtschaftsflüchtlinge missverstanden. Doch wenn man nachfragt, warum sie Geld brauchen, findet man heraus, dass ihre Korallen sterben, sie deshalb keine Fische mehr fangen und so keine Verdienstmöglichkeit haben. Es sind also durchaus auch Klimaflüchtlinge.

DIE FURCHE: Sie flüchten wegen des Klimawandels. Gleichzeitig schreiben Sie, dass die Urbanisierung die Bevölkerung weniger resistent Naturkatastrophen gegenüber macht. Woran liegt das? Trundle: Die schnelle Urbanisierung sorgt für einen Konflikt zwischen ihren traditionellen und westlichen Systemen. Menschen in der Stadt bauen zum Beispiel nicht mehr -wie traditionell üblich -Taro an und versorgen sich selbst, sondern sind von Reis und importierten Lebensmitteln abhängig. Doch es gibt auch positive Auswirkungen. Manche informelle Siedlungen werden sogar resistenter. In meiner Studie kam das Beispiel, dass sich eine Gruppe während des tropischen Wirbelsturms PAM in Höhlen versteckte, weil sie sich das von einem anderen Stamm abgeschaut hatten. Durch den kulturellen Reichtum in einer Stadt vermischen sich die Traditionen verschiedener Inseln. Man lernt voneinander. Die Diversität kann also auch eine Stärke sein. DIE FURCHE: Das ist eine spannnende Erkenntnis. Was haben Sie sonst noch in Erfahrung gebracht? Trundle: Überrascht hat mich das Ausmaß urbanen Wachstums und die Unterschätzung desselben. 26 Prozent der nationalen Bevölkerung lebt in informellen Siedlungen, aber keine internationale NGO arbeitet in diesem Bereich, und auch von ihren eigenen Regierungen werden sie ignoriert. Das beste Beispiel dafür ist eine Siedlung von 50 Menschen etwa 300 Meter vom Parlament in Port Vila entfernt. Für die offiziellen Stellen ist sie ein blinder Fleck. Überrascht hat mich auch, wie etabliert manche dieser informellen Siedlungen sind. Ein Slum in Honiara etwa hat eine 20-seitige Konstitution aufgestellt, es gibt einen Vorstand, Wahlen finden statt. Die Gemeinde ist etabliert und funktioniert, doch sie ist nirgendwo von den Behörden erfasst. Für mich ist es wichtig festzustellen, wie informelle und formelle Strukturen zusammenarbeiten. Nicht wie sie miteinander im Wettbewerb stehen, sich ersetzen oder boykottieren, sondern wie sie sich ergänzen können. Ein simples Beispiel dafür ist ein von der Regierung errichteter Park, den die Gemeinde als Marktplatz nutzt. Dafür muss man die vorhandenen informellen Strukturen zuerst kennen, verstehen und respektieren. Das kann auch in Krisenzeiten helfen.

DIE FURCHE: Können Sie ein Beispiel dafür geben?

Trundle: Nehmen wir das Thema Lebensmittelversorgung. Bei jeder Katastrophe wird seitens Hilfsorganisationen sowie Regierungen viel Geld ausgegeben, um die Betroffenen mit Essen und Trinken zu versorgen. Das könnte reduziert werden, indem man die Resilienz der Bevölkerung stärkt. Eine NGO könnte zum Beispiel resistente Samen verteilen, muss dafür aber wissen, dass in den meisten informellen Siedlungen die Menschen wilden Ackerbau betreiben und so einerseits ihre Gemeinde versorgen, andererseits Einkommen generieren. Bisher sind nur kleine, lokale Organisationen in diesem Bereich aktiv, die internationale Gemeinschaft fehlt komplett.

DIE FURCHE: Wie kann das geändert werden?

Trundle: International findet langsam eine Anerkennung von Städten im Allgemeinen und Slums im Besonderen statt. Das zeigt etwa die Etablierung des elften Nachhaltigkeitsziels der Vereinten Nationen, das besseres urbanes Planen und Management fordert. 2015 fand ein erstes "Pacific Urban Forum" statt, das im nächsten Jahr fortgesetzt wird, und auch in nationalen Rahmenbedingungen passiert dieser Wandel. Ich für meinen Teil hoffe bis zum Ende meiner Forschungsarbeit 2019 ein Modell zu entwickeln, wie Regierungen, nationale wie internationale NGOs in informellen Siedlungen auf den Pazifikinseln agieren können. Dabei ist wichtig, dass man die Kreativität dieser informellen Siedlungen erhält, sie nicht in formellen Strukturen erstickt und gleichzeitig widerstandsfähiger macht. Das Potenzial ist da.

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