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Spaltung unter den US-Negem?

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Vor einiger Zeit hat einer der Führer des „Marsches nach Washington“, Bayard Rustin, davon gesprochen, daß die Bürgerrechtsbewegung im Begriff sei, in ein neues Stadium einzutreten. Die Gründung der eigenen „Freedom Democratic Party“ im Süden des Landes gab dem Nachdruck.

Der nächste Schritt war, daß andere Negerführer in steigendem Maße ihrem Mißtrauen gegen „weiße Liberale“, die immerhin teilweise zu den Mitbegründern ihrer Organisationen gehört halben, Ausdruck gaben und tastend versuchten, das Profil einer autonomen „Negerbewegung“, nicht mehr identisch mit den bisherigen Zivilrechtsgruppen bzw. ihrer Taktik und Strategie, zu entwickeln.

Die Auseinandersetzung zwischen den „alten“ und den „neuen“ Bürgerrechtsgruppen hat seit einiger Zeit hinter den Kulissen Unruhen hervongerufen, wenn sie auch nach außen stets abgeleugnet wurde.

In der Periode des „Protestes“ war das Losungswort der größeren Negeronganisationen der „gewaltlose Widerstand“ gandhistischer Prägung. In der „Politik“ ergeben sich neue Frigen.

Und Rustin, der als ihr Kriterium dabei ein loyales Bündnis zwischen ihnen, der Gewerkschaftsbewegung, den Kirchen und weißen Liberalen vorschlug, ist — scheint es — isoliert geblieben: für die militanten Sektoren der Bewegung beginnt als Kennzeichen einer sinnvollen „Negerpolitik“ das Wort von der ,.Schwarzen Machtentfaltung“‘ (Black Rower)Anziehungskraft auszustrahlen. Selbst Martin Luther King Jr. (Southern Christian Leadership Conference) hat zumindest bis zu einem gewissen Grad dieser Tendenz Rechnung tragen müssen, wenn er für das „Schwarze Block Vote“ eintritt.

Appell an die eigene Kraft

Während die „Urban League“, die sich weitgehend aus der Politik herausgehalten, dafür äußerst fruchtbare Arbeit in der Berufsausbildung von Farbigen geleistet hat, im Moment der Kontroverse fernbleibt, hat sich die älteste Bürgerrechtsbewegung, die NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) durch ihren Führer Roy Wilkinsscharf von der Parole der „Black Power" und der damit verbundenen Relativierung der Gewaltlosigkeit, wie sie SNCC (Students Non Violence Coordinations Committee) und CORE (Congress for Racial Equality) kürzlich verkündet haben, distanziert.

Nach einem Wechsel in der Füh-

rung (Farmer und Davis legten ihre Ämter nieder, an ihre Stelle traten Stokely Carmichaelund Floyd B. McKissick) haben die beiden militanteren, jüngeren Gruppen das Gelöbnis beibehalten, niemals anzugreifen, aber sich, in Zukunft zur Wehr zu setzen, wenn selbst attak- kiert, — und aufgefordert, sich auf die eigenen Machtmittel als Wähler, Käufer, Organisatoren einzustellen, anstatt sich nur auf die Zivilrechts- gesietzgebung zu verlassen.

Was Vizepräsident Humphrey, stets eilig mit dem Wort, dazu veranlaßte, diese Verschärfung der längst vorhandenen — durchaus legalen — Seäfosterfüllungspro- grammpunkte als „Rassismus“ zu denunzieren.

Ein wenig erschreckt über die panische Reaktion gegenüber der „Machtanmeldung“, haben die zwei vorprellenden Gruppen teils modifizierende Erklärungen abgegeben, teils sie ärgerlich zurückgewiesen.

Das Problem liegt nicht in der Formulierung.

Es liegt in der sich ständig verschärfenden Atmosphäre des Vertrauensverlustes zwischen Administration, „bourgeoiser“ Negerfüh- rung, liberaler weißer Kompromißbereitschaft auf der einen und der

Ungeduld, Bitterkeit und Not der „proletarisch“ lebenden Bewohner der schwarzen Gettos auf der anderen Seite.

Wahrscheinlich war die Forderung nach einer Machtkonzentr.ierung gar nicht in erster Linie an die Weißen (als Drohung) gerichtet, sondern als Appell an die eigene Kraft, das eigene Selbstbewußtsein, die eigentlichen Möglichkeiten der Negerbevölkerung gedacht.

Aber sie wurde als Drohung auf- gefaßt, als Tendenz, sich den „schwarzen Nationalisten“ anzunähern, die mit ihrer „Kompromiß- loslgkeit“ heute zum Beispiel im New Yorker Harlemviertel auf 1:10.000 geschätzt werden (vielleicht sind es 5000?), die „Black Muslims“ nicht eingerechnet.

Jung gegen Alt

Die Meinungsverschiedenheiten unter den Gruppen können wahrscheinlich noch einige Zeit unter dem Signum „Verschiedenheiten sind Bereicherungen“ insofern beigebogen werden, als sich letztlich ja die Ziele nur im Akzent verschoben haben, in der Interpretation und dem Nachdruck, der der einen oder anderen Parole bei den Unorganisierten, die immer noch die Mehrzahl der gesamten Negerbevölkerung darstellen, zum Dahinhören verhilft.

Auf die Dauer nicht verharmlost werden kann der Gegensatz zwischen jung und alt, ebensowenig wie das der Fall in der politischen Linken ist, wo „neue“ und „alte“ Linke sich immer unversöhnlicher gegenüberstehen. Die — unvermeidliche — Auseinandersetzung zwischen der jungen Zivilrechtsbewegung („Negerbewegung“?) mit. der „alten“ enthält zwei Ungerechtigkeiten. Erstens : Es hätte nie eine Neger-Selbstwehrbewegung gegeben, wenn nicht weiße Liberale ihr die ersten legalen Möglichkeiten eröffnet hätten. Die heute „alte Generation“ der „reformisti- stischen“ Negerführer, die, darauf aufbauend, jahrzehntelang für die Gleichberechtigung der farbigen Amerikaner gekämpft haben, hat die Grundlagen zu dem gelegt, was später möglich — und notwendig war. Was heute noch die endgültige Spaltung der Zivilrechtsbewegung aufhält, die eine Katastrophe für Amerika wäre, ist möglicherweise die organische Wachablösung. Die „alten“ Führer müssen begreifen, daß sie jüngeren Leuten viel mehr als „neuen“ Ideen Räum geben müssen. Die weißen Freunde müssen ein- sehen, daß die Negeronganisationen erwachsen geworden sind und keine weißen Führer, sondern nur noch weiße Freunde brauchen.

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