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Tschombe in Bedrängnis

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Zehn Tage nach der Unabhängigkeitserklärung des Kongo am 30. Juni 1960 erklärte Katanga seine Sezession vom neuen Staat, dem anzugehören sich seine politischen Führer schon zuvor auf das heftigste widersetzt hatten. Es erforderte zweieinhalb Jahre und den Einsatz der UNO-Streitkräfte, um diese Sezessioh 2!ü ‘ beenden. Wiederum zehn Tage nach der vierten Wiederkehr des so denkwürdigen Unabhängigkeitstages hat der einstige Präsident der abtrünnigen Provinz, Moise Tschombe, im Triumph aus seinem Exil in Madrid zurückgekehrt, als neuer Premierminister die Führung der Kongoregierung übernommen. Fürwahr, ein verblüffender Szenenwechsel!

Imponierendes „Stehvermögen”

Tschombe hat Lumumba und auch Hammarskjöld überlebt, der bei einem Flug nach Katanga durch Absturz den Tod fand. Er hat seine Gefangennahme durch seine Gegner bei der Konferenz von Coquilhat- ville im Frühjahr 1961 überstanden

Politik der nationalen

Tschombe hat sich zu einer „Politik der nationalen Versöhnung” bekannt. Man wird darunter eine Politik verstehen können, die sich nirgends im Kongo auf die Vorherrschaft einer über eine andere, größere Völkerschaft stützt, aber möglichst alle von ihnen in einer denkbaren Form an der Zentralgewalt beteiligt. Gizenga, der frühere Vizepremier Lumumbas, wurde enthaftet, die „kongolesische Nationalbewegung Lumumbas” an der Regierung beteiligt. Tschombe hat jedenfalls nicht versäumt, selbst das Angedenken des Toten zu ehren und damit seinen Gegnern von gestern weiteren Boden abgewinnen können.

Ob diese „nationale Versöhnung”, die zweifellos der einzig gangbare Weg einer Politik im Kongo ist, unter den heutigen Verhältnissen Aussicht auf endgültigen Erfolg hat, ist eine andere Frage. In den letzten Monaten sind große Gebiete — Kwilu im Westkongo und Kivu- Maniema und Lualaba (Nordkatanga) im Osten des Landes der Kontrolle der Zentralregierung entglitten, und in den letzten Tagen und die Angriffe der UNO-Truppen gegen sein Regime, seine politischen Flirts mit der „Union Miniere” von Katanga und mit dem früheren Premierminister der ehemaligen zentralafrikanischen Föderation des benachbarten Rhodesien, Sir Roy Welensky. Solche Standfestigkeit pflegt im Gang der Politik nicht unb’ėlohnt ‘ zu tflėfbeh “ündj! dürfte ihm, selbst unter seinen früheren ‘Gegnern, einen gęwissęn, Nimbus des Lundavolkes mag Tschombe den übrigen Afrikanern so genehm sein wie irgend ein anderer Politiker, da keiner auf Grund seiner Herkunft den gesamten oder auch nur einen größeren Teil des Kongo zu verkörpern vermag. So genügt es, daß keines der Kongovölker in ihm einen unversöhnlichen Gegner erblicken muß, was einst einer der großen Fehler Lumumbas war. Anderseits wird als Führer willkommen sein, wer sich mit den Attributen der Unverwundbarkeit und Stärke ausgestattet zeigt und an dessen Erfolgen man teilzunehmen hoffen darf.

Versöhnung wurde selbst die Ausrufung von „Gegenregierungen” durch die Rebellen gemeldet.

Während der Aufstand in Kwilu das Vorhandensein einer lokalen Organisation radikaler ehemaliger Lumumbisten dokumentiert, als deren Führer Pierre Mulele gilt, aber kaum Aussichten haben dürfte, auf weitere Nachbargebiete überzugreifen, ist dies im Ostkongo anders. Der Herrschaftsbereich der bewaffneten Verbände unter Führung von Gaston Soumialot zwischen dem Tanganyikasee und dem Lualaba, dem Oberlauf des Kongostromes, hat sich stark ausgeweitet. Soumialot hatte bereits während der Wirren von 1961 eine Zeitlang de facto die Kivuprovinz beherrscht. Die Zeit, in der die Anwesenheit der UNO-Truppen die Wiederherstellung einer gewissen Ordnung ermöglichte, scheint er zur Planung und Vorbereitung seiner späteren Aktionen benutzt zu haben.

Soumialot, während dessen erster Herrschaft in Kivu zahlreiche Ausschreitungen und Verfolgungsaktionen gegen die Missionen stattfanden, kam für sein jüngstes Unternehmen offenbar die Entwicklung im benachbarten Staat Burundi zu Hilfe. Seit dessen Unabhängigkeiterklärung im Sommer 1962 haben sich am Hof des regierenden Landesfürsten Mwam- butsa IV. diplomatische Vertretungen zahlreicher Oststaaten, einschließlich Pekings, niedergelassen. Soumialot, der schon früher enge Beziehungen zu diesen Kreisen unterhalten haben soll, scheint nunmehr aych deren organisatorische Unterstützung gefunden zu tfaben. Burundi, von dem aus auch die Tutsiflüchtlinge aus dem nördlichen Ruanda bewaffnete Einfälle in ihre frühere Heimat unternahmen — was im letzten Winter zu neuerlichen Massakern der dort verbliebenen Batutsi führte —, scheint solcherart auch als Organisations- und Nachschubbasis für die gegenüberliegenden Gebiete des Kongo fungiert zu haben die gleichen übrigens, die im 19. Jahrhundert bevorzugte Jagdgebiete von Sklavenjägern aus Ostafrika waren.

Vor einer militärischen Aktion

Tschombes Behauptung, er besitz eindeutige Beweise für die Unterstützung der Rebellen unter Soumialot durch Peking, die er nach dem Fehlschlagen seines Verständigungsversuches in Kivu aufstellte, ist so wohl nicht unbegründet. Jedenfalls ist eine „politische Lösung”, wie sie ihm auch für dieses Gebiet vorgeschwebt hat, gegenwärtig illusorisch. Bezeichnend für den Charakter der „Aufstandsbewegung” ist auch, daß Jason Sendwe, früherer Vizepremier des Kongo und Tschombes ehemaliger Hauptgegner in Katanga, sowie zwei weitere Führer der Balubakat- partei, die nach der Neuaufteilung der alten sechs in 21 neue Kongoprovinzen die Regierungsgewalt im nunmehr selbständigen Lualaba (Nordkatanga) übernommen hatten, von den Rebellen nach der Eroberung von Albertville getötet wurden. Offenbar geschah dies, um die wichtigsten Führer der Katanga-Baluba auszuschalten, die im Rahmen der vollzogenen Neuordnung für die Zentralregierung eingetreten waren, und vielleicht an ihrer Stelle anderen den Weg freizumachen. Damit aber dürfte eine militärische Aktion zur Niederwerfung der Rebellion früher oder später kaum vermeidbar geworden sein.

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