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Wünsche an das neue Steuervereinfachungsgesetz

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Wir können es täglich und stündlich hören und lesen, daß Oesterreichs bevölkerungspolitische Entwicklung . zu ernsten Besorgnissen Anlaß gibt. Die' Todesfälle überwiegen bei weitem die Geburten. Man zählt — leider nicht zu Unrecht — unser Vaterland zu den sterbenden Nationen und es läßt sich schon heute der Tag errechnen, an dem Oesterreich zu bestehen aufgehört haben wird, wenn nicht der gegenwärtige Lauf der Dinge radikal geändert wird. Gottlob steht nur ein verschwindender Bruchteil unseres Volkes diesem vielleicht schwerwiegendstem Problem unserer Zeit uninteressiert gegenüber, die überwiegende Mehrheit verfolgt die derzeitige Entwicklung mit ernster Sorge.

Es soll hier nicht versucht werden, alle Ursachen des besorgniserregenden Geburtenschwundes in Oesterreich aufzuzeigen, ich möchte mich vielmehr darauf beschränken, auf zwei Umstände hinzuweisen, die in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung sind und die bereits in jüngster Zeit Gegenstand beachtenswerter Betrachtungen waren.

Unter allen Hauptstädten Westeuropas hat Wien den niedrigsten Wohnungsstandard. Ein nicht unerheblicher Teil der Wohnungen besteht aus Einzelräumen, der Großteil der neugebauten Wohnungen besteht jedoch lediglich' aus Zimmer und Küche. Diese Tatsache muß jeden, dem die Zukunft unseres Volkes am Herzen liegt, geradezu erschüttern. Den Ehepaaren, die derartige Wohnungen beziehen, wird die Neigung zur Erweiterung der Familie genommen. Hier kann keinesfalls der Einwand gelten, die derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnisse ließen den Bau größerer Wohnungen nicht zu. Vielmehr tauchen hier zwei Fragen auf, die gebieterisch nach einer klaren und eindeutigen Antwort verlangen: Entsprechen die Bauherren mit dem Bau von Kleinstwohnungen einem Bedürfnis der Bevölkerung? Oder verfolgen sie damit eine bestimmte Absicht? Es wäre tief bedauerlich, wenn die erste Frage mit ja beantwortet werden müßte, da in diesem Falle nicht unerheblichen Teilen unseres Volkes, zumindest jedoch unserer Hauptstadt, jeder Lebenswille fehlte. Sollte jedoch die zweite Frage mit ja zu beantworten sein, dann müssen die Bauherren und vor allem diejenigen, die mit öffentlichen Mitteln bauen, immer wieder und 'ganz energisch darauf hingewiesen werden, daß nicht familienfeindliche Wohnungen

gebaut weraen, sonaern soicne, die die ra-miliengründung ermöglichen und fördern.

Ein, zweiter, den Geburtenschwund fördernder Umstand steht mit dem ersten in engstem Zusammenhang. Dr. Alfons Schneider hat in bisher drei Aufsätzen in der „Furche“ in dankenswert offener und klarer Weise zum Problem der Familienbesteuerung Stellung genommen. Was bisher oft nur die unmittelbar Betroffenen, die Familienerhalter, am eigenen Leibe beim Gehaltsempfang oder bei Erhalt des Einkommensteuerbescheides verspürten, ist durch die fundierten Ausführungen Dr. Schneiders in aller Oeffentlichkeit mit erschreckender Deutlichkeit klar geworden: Die österreichische Einkommensteuerpolitik ist ausgesprochen familienfeindlich. Doktor Schneider ist — leider Gottes — der unwiderlegbare Beweis gelungen, daß die Besteuerung mit zunehmender Kinderzahl wesentlich steigt, daß das Existenzminimum nur dem Ledigen steuerfrei verbleibt, während von einer Steuerfreiheit des Existenzminimums einer mehrköpfigen Familie nicht die Rede sein kann. Es muß daher geradezu von einer Bestrafung der Familienväter mit mehreren Kindern gesprochen werden.

Daß bei einer derartigen Steuergesetzgebung die Kinderfreudigkeit in der Bevölkerung nicht gefördert wird, liegt wohl auf der Hand. Es bedarf hier genau so wie bei der Wohnbaupolitik eines gewaltigen Wandels.

Der Bundesminister für Finanzen hat bereits des öfteren erklärt, die derzeitige Steuer-

progression sei untragbar, und in dieser Frage dürfte er der einhelligen Zustimmung des ganzen Volkes gewiß sein. Je eher diese Frage einer vernünftigen Lösung zugeführt wird, desto besser wird sich dies nicht nur im Interesse jedes einzelnen Staatsbürgers, sondern letzten Endes gerade auch des Fiskus auswirken.

Am 1. Jänner 1 95 4 soll nun das neue Steuer Vereinfachungsgesetz in Kraft treten. Das Bundesministerium für Finanzen hat bereits einen Entwurf ausgearbeitet, der nicht unwesentliche Steuerermäßigungen gerade für die kleinen und mittleren Einkommen bringen soll. So sehr diese Steuerermäßigungen begrüßt werden, soll jedoch keineswegs verhehlt werden, daß es in erster Linie darauf ankommt, daß die dem derzeitigen Gesetz anhaftende Familienfeindlichkeit beseitigt wird. Der von Dr. Schneider aufgezeigte Weg, das Existenzminimum steuerfrei zu lassen, scheint der sozialste und überdies mit Rücksicht darauf, daß in Oesterreich nur noch etwa 370.000 Familien mit zwei und mehr Kindern existieren, auch vom fiskalischen Standpunkt der gangbarste zu sein.

Jedenfalls bietet sich mit dem kommenden Steuervereinfachungsgesetz eine Chance, die im Interesse der kinderreichen Familien und damit der Zukunft unseres Volkes unbedingt wahrgenommen werden muß und auch wahrgenommen werden wird, wozu wir als gewählte Vertreter des Volkes berufen unj fest entschlossen sind.

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