6595201-1953_02_03.jpg
Digital In Arbeit

Der Urlaub der Toten läuft ab...

Werbung
Werbung
Werbung

Nur, wer sich nicht die Mühe genommen hat, die deutsche Sowjetpresse in der Deutschen Demokratischen Republik seit ihrem Bestehen ganz genau zu verfolgen — und von einem der vielen Journalisten, die sich heute rühmen, über Ostdeutschland „informiert“ zu sein, müßte man das eigentlich voraussetzen —, kann darüber überrascht sein:

der große Schlag des kommunistisch-stalinistischen Zentrums gegen die eigene Linke in den Satellitenstaaten dröhnt nun auch gegen das Tor von Pankow. Von besonderem Interesse ist dabei der Sturz des „roten Goebbels“ Gerhart Eisler. Es wäre irrig und müßig, angesichts des sich hier vollziehenden Prozesses (in des Wortes ursprünglicher und abgeleiteter Bedeutung) moralische Maßstäbe überlieferter Art anlegen zu wollen. Man muß sich bei diesem hier in den Grundlinien skizzierten Geschehen immer vor Augen halten, daß es sich um einen Vorgang innerhalb der immanenten Welt totaler Dialektik handelt, die nicht etwa der böse Kreml, sondern der preußische Kronphilosoph Hegel als erster entwickelte. Das Wort Kierkegaards von der „kriminellen Angelegenheit“, die ein solches System darstelle, wird man heute kaum mehr als besonders überspitzt bezeichnen können, wenn man die jedem wahrnehmbaren Auswirkungen beobachten kann. Dies vorausgesetzt, sparen wir uns bei der folgenden Darlegung jedes Werturteil aus der transzendenten Sphäre sittlicher oder gar dekalogisch-religiöser Gesetze. Sie sind nicht anwendbar angesichts eines totalen Denkens, das die Weltgeschichte in eigengesetzliche Prozesse auflöst und in dem der früher gern überlesene Satz Hegels, daß der „Weltgeist seine Werkzeuge wegwerfe, wenn er sie nicht mehr brauche“, eine makabre Hauptrolle spielt.

Wir kennen die Hauptträger jenes Geistes, der in diesen Monaten getroffen, wenn irgend möglich mit Stumpf Und Stil ausgerottet werden soll, persönlich. Und diese Bekanntschaft bewahrt uns davor, ihnen hier eine unverdiente Märtyrerkrone schaffen zu wollen. Sie sind nicht schlechter und nicht besser als die anderen, heute siegreichen Funktionäre des „Weltgeistes“, die morgen ihre Ankläger und Richter in einem sein werden. Sie haben nur einen unverzeihlichen Fehler begangen: sie haben in einem einzigen Punkt falsch, im Sinne des Hegel - Marx - Stalinschen Systems falsch gedacht. (Denn auf der Basis und in dem Koordinatensystem dieses Systems haben Stalin, Ulbricht, Duclos, Gottwald recht und nicht Trotzki, Eisler, Marty, Slansky.) „Die Sünde ist in den Gedanken“, sagt der konsequente Revolutionär Robespierre bei Büchner nach dem Weggang des „Opportunisten“ Danton. Demgegenüber wiegen die von einer gewissen Skandalpresse so ausgewerteten persönlichen Differenzen, Eitelkeiten, erotischen Eskapaden gering. Auch der angebliche Antisemitismus ist ein Märchen, wenn man dieses Wort so verstehen will, wie es Schönerer und Hitler gebrauchten.

Es geht um etwas ganz anderes. Die „Linken“, deren letztes' Stündchen üv Deutschland zu schlagen beginnt, sind in; einem entscheidenden Punkt ihres Denkens Metaphysiker und nicht Dialektiker. Sie verweigern, eingestandener- oder uneingestandenermaßen, dem kommuni-' stisehen Totalsystem der Dialektik, wie es Stalin mit der heiteren Überlegenheit eines'Tngenieurs handhabt, die letzte Gefolgschaft. Sie nehmen ein einziges Bereich von der absoluten Botschaft und Lehre des neuen weit-immanenten Jeho-Vah aus. „Du sollst keine fremden Götter haben neben mir.“ Dieser Satz ist keine Blasphemie, die Parallele ist grauenhaft, aber wahr.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung