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Dieses Land
Eitelgenannt belächelt ausposaunt bezweifelt totgesagt verraten verboten ein Reich ein Rest ein Gau eine Idee
Vergangenheit in Kronen und Grüften ein Landstrich von dem die Geschichte Abschied genommen hat im November im März zuviel ist hier schon geschehen ein dickes Geschichtsbuch mit Hunnen und Türken Kurutzen Franzosen Preußen und Russen mit Schlachten Hochzeiten Kongressen Elend und Walzern was ist dieses Land das sie zerstören wollten zerstört haben einmal und wieder weil es sich selbst als Last empfunden hat als müde und bedürftig der Anlehnung was ist dieses Land jetzt wo sich die Straßen
kreuzen noch immer aus vier Richtungen Europa nicht nur aus drei auch im Osten ist Europa wer es vergißt kann nichts sagen über dieses Land das als Prospekt für Sommer und Winter und Freundlichkeit aufgeschlagen liegt mit Bergen Seen Bilderbuchdörfern und Städten in den Farben Maria Theresiens gebreitet ist in die Mitte sich dessen rühmend als hätte es keine größeren Vorzüge was ist dieses Land zwischen Stolz und
Verneinung es entschuldigt lächelnd sein Dasein es spielt den Radetzkymarsch beim Angriff auf Schimären indes seine Gespenster nicht selten in der Sonne leibhaftig umgehen und seine Toten sehr tot sind Namen die Fremde besser kennen als Patrioten es ist Heimat zäher Vorurteile über sich selbst und zugleich eine Arche des gesundgebliebenen Verstand dessen Witz den
Protzigen
auszieht und den Getretenen aufhebt das Land der unkompliziert Frommen der Josefiner der nörgelnden Pflichterfüller das Land das einen Orden für Eigensinn gehabt hat das Land das wir lieben und belächeln weil wir selbst auch unser Widerspruch sind.
Dieses Land das sich selbst nicht gemocht hat
zwischen November und März dieses Land des Hungers
des Hasses mit Bomben Schießprügeln spanischen Reitern
Toten in der Vorstadt Toten im Dorf und im Ballhaus
dieses Land des langsamen Selbstmords und der Hoffnung
auf falsche Erlöser ist eines Tages gegen Abend
wirklich tot gewesen ausgelöscht auf den Karten getilgt
sein Name untergegangen im Triumph
seine Bestatter für immer so hat es geheißen
jetzt wird alles anders und anders ist es geworden.
Dieses Land ohne Namen tot und begraben
ist zum Leben erwacht in Baracken und in der Erde
zwischen Eismeer und Wüste unter Wachtürmen
am Schafott in Kellern dieses Land
hat sich erkannt im Echo seines geflüsterten Namens
ist auferstanden in russischen Wintern und zwischen
den Öfen von Auschwitz ist allmählich
ein Fr.ühjahr geworden aus Flammen und Eis
ein Wille und ein Wort.
Österreich mit seinen Gerichteten Gefallenen Gräbern und Trümmern
dem brennenden Dom den Gebombten Geplünderten Versehrten
Verjagten Vergasten Verschollenen mit seiner Armut und seiner Hoffnung weiß was es will damals im April und heute und morgen sich selbst.
Österreich mit seiner Geschichte der ganzen und all seinen Bergen Burgen Fabriken Keuschen und Schlössern seinen Einschichten Vorstädten Marktplätzen Glocken und Türmen
Bilderbuchdörfern Kaffeehäusern und Grüften seiner Musik
seinem Wort seinem Schweigen seinen Tränen und seiner Freude
seinen vergessenen Toten seinen Gefeierten seiner Einfalt seinem Wissen
ohne spanische Reiter Verzweiflung und Zwietracht ein Volk
mit Vergangenheit Zukunft dauernde Gegenwart
im Kreuz der Straßen Europas im Schoß dieser Welt
lächelnd über seine Bestatter: Österreich.
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