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1809: Franzosen in Wien

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Nicht gleich 1805 geputzt, wie zu Tische gebeten, erschienen diesmal die Gallier: man sah ihnen sauere Arbeit an: fast kein Truppenteil war vollzählig. Nicht wie damals empfing sie die Bevölkerung am offenen Fenster, sie schritten durch volksleere Gassen, an verschlossenen Häusern entlang, selbst finster und unmutig über den Widerstand und Abscheu, auf den sie getroffen.

Als das Publikum gewahrte, daß sich die Bataillone, statt mit dem Bajonett auf die Börsen loszugehen, auf den Hauptplätzen zum Biwack einrichteten, der Soldat, halbnackt, Leib, und Hemd in den Bassins wusch, verschwand die Plünderungsfurcht, und man wagte sich mit seiner Neugierde hinaus auf die Straße. Binnen einigen Stunden hatte die Residenz ein anderes Gesicht. Stutzer, Damen, Soldaten, Lastträger wirbelten durcheinander: von allen Seiten wurde Proviant, Kriegsvorrat, Beute angeschleppt, geschwätzt, gegafft, kommandiert, auf- und abmarschiert, und ehe man sich versah, war auch schon Wiens unsterblichste Tätigkeit, die Verkäufer der „heißen Würstel“ auf den Beinen. Die in den Vorstädten freilich empfanden bereits die scharfe Geißel des französischen Einquar-tierungs- und Requisitionssystems. Mit Anbruch der Dämmerung wälzte sich dieser scheußliche Alp auch in die Häuser der Stadt. — Bei uns brachen zunächst, geführt von einem Chevronier, sechs Kürassiere ein, prügelten den Portier, als dieser Stroh zum Lager brachte; warfen Käse und Brot zum Fenster hinaus, bestanden mit Tumult auf Federbetten und gebratenem Fleisch. So ging das volle zwei Wochen fort; fast alle Tage andere Gäste; erst sechs, dann acht, endlich zehn Mann mit Unter- und Oberoffizier; diese Heuschrecken wuchsen wie Fallstaffs „Sieben in Steifleinen“. Von Süd, West und Nord, je nachdem die Kriegsläufe ihnen Raum gaben, fluteten immer neue Scharen heran, durch die Stadt hindurch, in ihrer Nähe an den Ufern der Donau das Schicksal der Monarchie zu entscheiden; die bunteste Musterkarte aller Waffengattungen und Völker, über welche der erzürnte Schlachtenengel zu verfügen hatte. Außer den Holländern erschienen sie alle in Wien, um sich da zum Töten zu mästen; von dem noch mit zärtlicher Galanterie „Gardes Josephines“ genannten Leibkürassieren mit den Tigerhelmen, bis zum Regiment der „Mariniers“; — „Jäger vom Po“, Mohren-Grenadiere, spanische, mit Maultieren bespannte Artillerie, polnische Lanciers, Sachsen, Bayern, Württemberger, Westfalen, Portugiesen, zogen kampflustig ein und ab; denn

„Für einen, der begeistert ist,

Sind Tausende besessen.“ Während diese endlosen Züge prachtvoll auf Kosten von halb Europa equipierter, auf Kosten des ruinierten österreichischen Landmanns wohlgenährter und in Wein gebadeter Schwärme sich in den eleganten Lagern rings um die Stadt verteilten oder in der Lobau zum verderbenschwangeren Knaul aufwickelten, verschwand vor den Wienern Speise und Trank immer trostloser in den unausfüllbaren Abgrund der hunderttausend gallischen Magen. Keine Stadt der damals heimgesuchten Welt hatte gegen einen ähnlichen Verein sich gegenseitig steigender Drangsale zu kämpfen; vielleicht war auch keine Stadt so wie Wien in der Lage, sich dagegen aufrechtzuerhalten. Die Zufuhren, ober- und unterhalb von den eigenen Truppen abgeschnitten, die nächsten Hilfsquellen versiegend, Handel und Erwerb stockend, Pensions- und Gehaltsbezüge unterbrochen, Debitoren insolvent, die Hausbesitzer außerstande, Zinsen abzutragen, Millionen durch die Abwesenheit der Hoch-adeligen und Reichen dem Verkehr entrissen, dabei jedermann auf das sechs- und zehnfache seiner sonstigen Ausgaben getrieben, täglich die Leistungen wachsend, in demselben Maße die Preise der Lebensmittel steigend und umgekehrt der Realwert des Papiergeldes sinkend, und zwar in so erschreckenden Progressionen, daß dem französischen Gouvernement selbst die Haare zu Berge stiegen. Als der Magistrat endlich seine Speicher öffnete, erhielt man zu ungeheuren Preisen Brot — dank dem Monopol- und Magaziniersystem! — von so durchaus verschimmelten Mehl, daß man, es kauend, niesen mußte. Rindfleisch war eine Seltenheit wie Auerhahnbraten; eine Gans kostete 4, das Pfund Zucker 10, für etwas Hühner, Salat und Wein zum Vesperbrot zahlte der Hofmeister für sich und mich beim Restaurant 14 Gulden Bankozettel. Wer sonst 500 Gulden monatlich ausgegeben, mußte jetzt 2000 berechnen; versah er sich mit diesen vom Bankier, so wurde binnen acht Tagen durch fernere Entwertung des Geldes und Steigerung der Ausgaben und Preise eine neue Rimesse nötig, und man zehrte flott vom Sparpfennig, vom Kapital und ließ Gott einen guten Vater sein. In der Tat war nicht abzusehen, wie das enden würde. Unterdessen schlug Bertrand über die reißend von Schmelzwassern wachsende Donau seine dreifachen Brücken, gegen welche der auf dem linken Ufer anrückende Erzherzog Stein- und Feuerschiffe laufen ließ, welche die mittelmäßige Arbeit dreimal sprengten. Wer so glücklich war, einen französischen Begleiter zu erhaschen, genoß diese interessanten Schauspiele des Krieges, bis eine Beamtenfrau samt ihrem feindlichen Anbeter in die Hände einer übersetzenden Patrouille der Kaiserlichen fiel. Da sperrte Andreossi durch Kavaleriepikette alle Ausgänge nach dem Strom. Napoleon schickte sich zum Ubergang an, und Besorgnis malte sich auf den Gesichtern der Besatzung. In der Tat hing der Ausgang am Fädchen; bekanntlich sprengte die früher im Jahr als gewöhnlich schwellende Donau das leichtfertige Machwerk, während die Kanonen bei Aspern den Niebesiegten auf das rechte Ufer zurückwarfen. Nun erschien der 23. Mai, wo das Thermometer des Tumults und der Drangsal den Siedepunkt erreichte. Alle - Last-, Wirtschafts-, Mietswagen, alle Fiaker mußten hinaus, die Tausende von Verstümmelten hereinzuschaffen, und das Wiener Publikum erhielt den schrecklichen Nachgeschmack der mörderischen Schlacht, deren bedenkliche Folgen die Franzosen mit sichtbarer Unruhe erfüllten. Auf einem Leiterwagen brachte man Lannes mit zerschmetterten Beinen, in Mäntel gehüllt, das totenbleiche Haupt im Schöße des Chirurgen; ihm zu Füßen der Adjutant; an den Seiten des Fahrzeuges ritten Offiziere seines Stabes und Gendarmes d'Elite; ein unvergeßliches Bild für den Augenzeugen, —r Drei Tage und Nächte unausgesetzt währte diese blutige Longchampsfahrt und häufte die Opfer aq in den öffentlichen Gebäuden, Klöstern, verlassenen Kanzleien, in der Kaiserlichen Reitschule, den Redoutensälen — welch ein Abstich zwischen Feldhospital ind Maskenball! Jetzt ging dem Wiener das warme Gemüt weit auf und ihr Äußerstes tat die Barmherzigkeit. Alte und neue Wäsche wurde gesteuert, zu Verband zerschnitten, zu Charpie zerzupft; Betten unter dem Leibe weggegeben an die Leidenden: Freund und Feind ohne Unterschied liebreich gepflegt und sich mehr auferlegt, als gefordert wurde. Aber das muß man sagen: dankbar ist der Franzose und versteht sich darauf, es zu beweisen Nicht allein die Anschläge an allen Ecken mit Danksagungen von Offizieren und Soldaten, die öffentlichen Anerkennungen des Gou* vernements, das Attachement der Einquartier-i ten an ihre Wirte, sondern mehr als alles die die Zuvorkommenheit, Delikatesse und Achtung, womit im allgemeinen das Militär den Bürger behandelte, sprachen es deutlich aus, wie der Feind vom Publikum denken gelernt hatte'

„Traditionen zur Charakteristik Österreichs, seines Staats- und Volkslebens unter Franz L**

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