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„Eierköpfe“ voran!

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Als im vorigen Jahr Sputnik I und II in den sowjetischen Himmel stiegen und in Amerika eine „Sputnikkrise“ auslösten, kommentierte der bekannte Journalist James Reston den neuen Schlachtruf der „New York Times“: „Lasset uns die Gehirne der Nation mobilisieren“ mit den Worten: „Das ist eine verspätete Anerkennung der Eierköpfe durch die Fettköpfe“ und traf damit den Nagel auf den Kopf. Tatsächlich war der Sputnik nötig, um zu erkennen, daß man i mifri dem Antüntellektualismus, dem die öffentliche Meinung ders ;USA ' bisher -gehuldigt hatte, hoffnungslos 1ns 'Hintertreffen geraten war: Die „Eggheads“ (wie man die Intellektuellen nennt) sollten aus den Winkeln, in die die Nation sie seinerzeit gestellt hatte, wieder

hervortreten und ihre Kenntnisse zur Verfügung stellen. Indes liegen die Wurzeln jener antiintellektuellen Haltung viel tiefer, als daß ein Aufruf oder ein Revirement einfach den Status quo herstellen könnte. Es gibt nicht eine Ursache, sondern viele, gleich unheilvolle.

Der amerikanische Freiheitsbegriff, extrem individualistisch und expansiv, dynamisch und erobernd, steht an sich der zurückgezogenen Art wissenschaftlichen Arbeitens, ja jeder Introversion, gelinde gesagt, mit leiser Fremdheit gegenüber. „The pursuit of happiness“ — das Streben nach Glück, war eines der Leitmotive der amerikanischen Revolution gewesen. Glück heißt zählbarer, sichtbarer Erfolg, manifestiert in Haus und Auto, in Bankkonto und Wertschätzung, die das natürliche Barometer des Selbstwertgefühls ist. Der Intellektuelle steht auf der sozialen Leiter im unteren Drittel. Er verdiente stets wenig und war darum nicht angesehen; er war nicht angesehen, weil er wenig verdiente. Ein hoffnungsloser Circulus vitiosus. Schlecht zu verdienen ist allenthalben un-

angenehm, in den USA geradezu eine Katastrophe. Während dem europäischen Intellektuellen Geldlosigkeit nicht nur verziehen, sondern zugebilligt wird, er vielleicht in dem ihm für Titel und Bildung entgegengebrachten Respekt eine Art Entschädigung sieht, erfährt der schlechtverdienende amerikanische Intellektuelle von der Gesellschaft geradezu Verachtung. So etwas schreckt. Die ständige Sorge des Amerikaners, zu den „richtigen Leuten“ zu gehören, „richtig zu wohnen“, -der „richtigen Konfession“ anzugehören, ist der typische Ausdruck des Angstgefühls des einzelnen gegenüber der Mehrheit. Nicht aus dem Rahmen fallen, angepaßt sein (well adjusted), prägen die Elfern den Heranwachsenden unentwegt ein. Unverdächtige Zeugen, wie Alexis de Tocqueville und Bryce, betonten schon im 19. Jahrhundert, daß solche Aengste zum Konformismus und zur Massendiktatur auf gesellschaftlichen wie weltanschaulichem Gebiet, unter formal demokratischen Segeln, führen könnten.

Der amerikanische Freiheitsbegriff setzt die absolute Autonomie und Souveränität des einzelnen voraus, auch gegenüber dem Staat, dem Recht, der Schule. Einordnung entspringt der Vernunft. Das Einschmelzen in eine größere Gruppe ersetzt schon im frühen, eindruckfähigsten Alter die „participation mystique“ des Kindes mit seiner Familie. „Staatsbürgerliches Verhalten“ (citizenship) wird in amerikanischen Mittelschulen für ungleich wesentlicher erachtet als die herkömmliche Denk- und Konzentrationsschulung durch Mathematik, wie sie in der UdSSR forciert, und Grammatik und Latein, wie sie in Europa gepflegt wird. Gemäß der allenthalben als Leitstern betrachteten Lehre John Deweys' bestimmen die Ziele und nicht die Fächer den Unterricht. Mit schönem Freimut verkünden die Verbreiter von Deweys Lehre, sekundiert von dem Chor sich gerne strenger Denkschulung entziehender Schüler, „die alten Fächer seien entbehrlich, um gute Staatsbürger heranzuziehen“. Die Folge ist ein Mangel an klarem, begrifflichem und abstraktem Denken. Auf die Hochschulen strahlt solche Ansicht aus. Hier drängen Diskussionen, Teamwork, und die obligaten „social activities“, von deren reger Teilnahme übrigens das gesellschaftliche Werturteil in weitem Maße abhängt, das Erarbeiten des sich nur in der Einsamkeit der Studierstube erschließenden Zugangs zu den exakten Fächern weiter in den Hintergrund. Was die Philosophie betrifft, so herrscht die landesübliche Vorstellung, sie sei ein ausgefallenes, abstraktes Denksystem, das die Natur vergewaltige und selten seinen Begründer und Verkünder überlebe. Daß aber gerade die Philosophie, vor allem die philosophische Logik, erst die Basis der Mitteilbarkeit schafft, ohne die auch eine naturwissenschaftliche Aussage im luftleeren Raum hängt, ist eine Wahrheit, die erst seit jüngster Zeit wieder vollgültig erkannt wird. In den USA konnte auch bezeichnenderweise nur der antimetaphysisch und praktisch ausgerichtete, auch den sozialen und politischen Bereich unterwerfende Transzendentalismus

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