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Giftfibel für Genießer

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Ernst Jünger tritt diesmal mit einem Essay an die Öffentlichkeit, das unter dem Ubertitel „Annäherungen“ einen kulturtheoretischen Befund all dessen zu geben versucht, was mit Hilfe von Pflanze und Chemie Veränderungen der Bewußtseinszustände im Menschen hervorzurufen vermag und wieweit diese veränderten Bewußtseinszustände geeignet sind, im zivilisatorischen Prozeß verlorengegangene Kontaktschlüsse wieder herzustellen, die dem Menschen wesentlich andere Seinserfahrungen ermöglichen als die normierte Umwelt, in der zu leben er gezwungen ist.

Ein heikles Thema also, wenn man bedenkt, welche Rolle die Droge heute spielt und wie groß die Gefahr ist, daß diese Situation einerseits von ästhetisierenden Schönfärbern und anderseits von Geschäftemachern ausgenützt wird.

Ernst Jünger widmet sich diesem Thema schon in seinem Buch Helio-polis, in dem er die Figur des Antonio Peri, Träger und Erbe alter Kultur, die sich in handwerklicher Fertigkeit und in geistiger Verfeinerung äußert, in den Besitz eines geheimnisvollen Lorbeersaftes geraten läßt, der die Genießer desselben dann in die Lorbeernacht entführt, wahrscheinlich in Anlehnung an andere unheimliche Nächte dieser Art in der klassischen Literatur. In dem vorliegenden Essay untersucht der Autor die Droge, und nicht nur diese, sondern lobenswerterweise auch den edlen Traubensaft, wie ein Archäologe die Steine nach dem Zerfallswert, nach dem „Annäherungswert“. Jede Art von Rausch — und es gibt, wie man leicht aus der verschiedenen Beschaffenheit der Drogen schließen kann, unendlich viele und verschiedene Aussageweisen des Berauschtseins, von der simplen Erheiterung bis zur Fähigkeit des Vergifteten, Farben und Geräusche deutlich zu spüren, oder in delirierender Wachheit durch Straßen zu gehen und übergenau zu erkennen —, jede Art von Rausch also ist für den Autor eine Sprosse auf der Stufenleiter zum Absoluten, Annäherung und Einstieg. Ein kunsttheoretischer Überbau, der Rausch und Ekstase als dem Künstlerischen ähnliche Ausdrucksweisen begreift, führt wieder einmal zur These „Kunst sei nichts anderes als Existenz in höherem Sinn“, und Kunstgeschichte könne nur unter die zentrale Frage gestellt werden, wieweit und ob Annäherung gelungen sei.

Aber schon bei der Lektüre der locker aneinandergereihten Exkurse und Erinnerungen, die von eigenen Erfahrungen mit Drogen und Alkohol berichten, zum Teil pharmazeutische und medizinische Detaüs, vermitteln, wird klar, daß der Titel „Drogen und Rausch“ etwas irreführend ist. Ernst Jünger klammert die aktuellen Probleme völlig aus. Was hier zu lesen steht, hat wahrscheinlich mehr Bezug zu den mystischen Rosenkreuzern als zu den modernen Hasch- und LSD-Zirkeln. Der Band ähnelt einer von einem Alchimisten herausgegebenen Sammlung köstlicher Gifte, es fehlen nur Goldschnitt und Ledereinband. Ernst Jünger hat wahrscheinlich in einem recht: die Anwendung von Giften erfordert Kultur, aber eine Kulturgeschichte der Droge zu schreiben, genau In dem Augenblick in dem der Mohn längst nicht mehr gemächlich in gepflegten Gärten reift, sondern weltweit die Gefahr einer Massenpsychose noch unbekannten Ausmaßes heraufdämmert, wirkt zumindest befremdlich. Wer die Ereignisse von Altamonte verfolgt hat, weiß, daß es hier keine Einstiege in das Absolute gibt, sondern allerhöchstens ins Kriminal. Aber darum geht es Ernst Jünger nicht. Die Tage von Altamonte sind ihm ebenso fern, wie jene von Helio-polis. Die Fragen kreisen schließlich immer wieder um die Kulturfähigkeit des Menschen in einer technokratischen Gesellschaft. Daß jene Bilder aus der Vergangenheit, die mit einem gewissen Heimweh gemalt werden, wie etwa Güterslohs Miniaturen, immer wieder Möglichkeiten des Menschseins faszinativ auf grauem Hintergrund des Gegenwärtigen montieren, entspricht einer festgefahrenen Einstellung, die dann schließlich zu einer rein historisierenden Betrachtungsweise wird, ohne jede Möglichkeit der Einsicht in den Mechanismus modernen Lebens.

Jünger mißachtet in seiner Kunsttheorie konsequent alles, was seit Freud und die Surrealisten Eingang gefunden hat in das Denken der Menschen, was überkommene Wertkategorien zerstört hat. Hier gibt es keine Stufenleiter mehr nach oben oder unten. Schon gar nicht kann man überkommene Kategorien an Phänomene des modernen Lebens anlegen und wirkliche Gefahren auf diese Weise verharmlosen. Rausch bedeutet Entgrenzung und in gesteigerter Form Ich-Verlust. Für die meisten Menschen führt die Rauschgiftsucht nicht zur Annäherung an das Absolute, sondern zum Kretinismus.

Ebenso bedenklich ist eine Kunsttheorie, die sich ständig im Liebäugeln mit dem Absoluten bestätigt und schon ihres pseudoreligiösen Anstrichs wegen in Verdacht geraten muß, wesentliche Entwicklungen innerhalb der letzten fünfzig Jahre verschlafen zu haben.

ANNÄHERUNGEN, DROGEN UND RAUSCH. Von Ernst Jünger. Ernst-Klett-V erlag, Stuttgart, 502 Seiten, DM 32.50.

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