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Grüner Tee und harter Stahl

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JAPAN. Von Rolof Beny und Anthony Thwaite. Verlag Bucher. 160 Seiten. S 675.—.

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JAPAN. Von Rolof Beny und Anthony Thwaite. Verlag Bucher. 160 Seiten. S 675.—.

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Die Wirklichkeit des fernen Inselreichs außerhalb von übernommenen Schablonen und fertigen Vorstellungen einzufangen, sei es im Bild oder in Erzählung, Bericht und Reportage, kann für den Europäer und wahrscheinlich auch für den Amerikaner immer nur Ansatz, immer nur Bemühen bleiben, selbst dann, wenn er schon mehrere Jahre im Land der aufgehenden Sonne gelebt hat und sozusagen als Kenner gelten kann.

Was die Vorstellungen des Europäers bestimmt, ist zunächst das Mißtrauen einem tüchtigen Volk gegenüber, dessen industrielle Produktion heute den Weltmarkt beherrscht, und die Scheu oder das Befremden einer lange Zeit unter Verschluß gehaltenen Kultur gegenüber, deren unendlich zarten und große Sensibilität erfordenden Ausdrucksformen der Westler letztlich ebenso hilflos gegenübersteht wie der drohenden Konkurrenz eines kaum mehr zu überbietenden wirtschaftlichen Potentials. Er wird die Geheimnisse des grünen Tees, das harmonische Spiel von Gebärden, meditativer Schau und zartfühlenden Gesprächs, das Bereiten und Trinken begleitet, nicht verstehen, sosehr er sich bemüht, und er wird ebenso fassungslos den Tausenden zusehen, die in den Riesenkonzernen in unauffälligen Uniformen zwischen Glas und Beton sich lautlos bewegen wie Rädchen in einer Maschine und scheinbar ihr eigenes Ich vergessen haben.

Tatsächlich, Japan ist heute mehr denn je das Land der Widersprüche, sie werden überall sichtbar in dem Gegenüber von niedrigen Häusern aus Holz und Papier, die im Winter kalt sind, und den gigantischen Drugstores etwa der Tokyoter Einkaufszentren, den flammenden Leuchtreklamen, den steigenden und fallenden Bogen der Highways, auf welchen der Verkehr in regelmäßigen Stößen pulsiert, während sich unter den „hängenden Straßen“ das unabsehbare Gewimmel der Menge scheinbar ziellos hin und her bewegt, in dem Gegenüber von Wissenschaftsfrömmigkeit und Aber glauben, von Industriemagnatentum und Armut von Brutalität — ein Gang durch das Vergnügungsviertel Asakusa jagt dem an Sexfilme gewöhnten Europäer die Gänsehaut über den Rücken — und kultivierter Introvertiertheit. Einer Reportage, wie sie Roloff Beny in seinem Japan-Buch bringt, müßte es gelingen, diese Gegensätze einzufangen, will diese dem modernen Japan gerecht werden. Nun, dieses Buch ist eigentlich keine Reportage, es ist ein keine Kosten scheuender, nahezu bibliophiler Kunstbau. Jedes der Bilder Benys ist ein Kunstwerk. Sie treffen in ihrer Bedachtheit auf farbliche Nuancierung, auf Stimmung und Komposition genau das, was sich der Europäer vielleicht unter japanischer Landschaft, japanischer Folklore, japanischer Kunst vorstellt. Sie treffen genau diese auf Grund des Dunstes wie unter einem Schleier liegenden Farbtöne, sie entsprechen der Vorliebe des Japaners für die Einzelheit etwa eines Kiefernzweiges, eines Kirschbaumes in der Blüte, eines sich gegen den Abendhimmel erhebenden Tempeltores. Alle diese Bilder, die so unvergleichlich zur japanischen Landschaft gehören, fängt Roloff Beny ein, saugt gleichsam ihre Poesie auf und präsentiert sie so wie Tafelgemälde in ihrem ganzen fernöstlichen Reiz.

Doch fehlen in einem Buch, das sich schlicht und einfach Japan nennt, wesentliche Akzente, kurzum, es fehlt das Japan von heute. Denn das Japan des grünen Tees ist auch das Japan des harten Stahls, das Japan der Kirschblütenromantik ist auch das Japan einer harten Gesellschaftsordnung, die den einzelnen in einem viel stärkeren Ausmaß als im Westen in ihre Mechanik zwingt. Anthony Thwaite, der den Bildband in einem kurzen Essay einleitet, vermag diesem Mangel etwas abzuhelfen. Seine Japanimpressionen geben einen, wenn auch nicht tiefgehenden informativen, so doch aus vielen einzelnen Beobachtungen gesammelten Einblick in die Wesensart des Inselvolkes, seine ganze Rätselhaftigkeit und im letzten trotz westlicher Übertünchung exotische Fremdheit

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