6775353-1969_19_12.jpg
Digital In Arbeit

Lebenszuversicht

19451960198020002020

Was lebt, soll leben, soll sich des Lebens freuen, erklärte Ludwig Feuerbach. Wie sehr Anzengruber von der Weltsicht dieses Philosophen beeindruckt war, zeigen seine Stücke. Die Bauernkomödie „Der G'wissens-w u r m“, die derzeit das Volkstheater aufführt, ist ein mit Bühnentemperament dargebotener Hymnus auf die Lebensfreude. Der Herrgott hat's Leben zum Freudigsein geb'n, heißt es im Schlußlied

19451960198020002020

Was lebt, soll leben, soll sich des Lebens freuen, erklärte Ludwig Feuerbach. Wie sehr Anzengruber von der Weltsicht dieses Philosophen beeindruckt war, zeigen seine Stücke. Die Bauernkomödie „Der G'wissens-w u r m“, die derzeit das Volkstheater aufführt, ist ein mit Bühnentemperament dargebotener Hymnus auf die Lebensfreude. Der Herrgott hat's Leben zum Freudigsein geb'n, heißt es im Schlußlied

Werbung
Werbung
Werbung

Aber wirkt dieses Stück heute noch? Die heuchelnde Frömmelei des Dorftartuffe Düsterer hat keinen Gegenwartsbezug mehr. Auch wird sich ein heutiger Bauer kaum mehr wie der Grillhafer die Sache mit dem G'wis-senswurm und den Höllenstrafen einreden lassen. Man blickt in eine versunkene Vergangenheit. Da aber die Gestalten pralle Lebenskraft besitzen, vielen Szenen besondere Wirksamkeit eignet und die frische Lebenszugewandtheit der Horlacher-lies gerade auf dem heutigen Theater eine Kontraposition zu aller säkularisierten Infernalität darstellt, spricht das Stück weiterhin an. Allerdings ist diese Daseinsbejahung in einer zu wenig tief liegenden Schicht verankert. Hermann Bahr erklärte: Einen so großen Theatraliker hatten wir in Österreich nie. Aber wie es sich zeigt, wirkt das Theatralische auch heute. In der ansprechenden Aufführung unter der Regie von Hans Rüdgers gibt Joseph Hendrichs dem Düsterer eindrucksvoll das heuchlerisch Verschlagene, Gustav Dieffenbacher vereint in der Gestalt des Grillhofer Schwachheit mit menschlicher Wärme, Dolores Schmidinger hat als Horlacherlies Temperament, Frische und Fröhlichkeit, Heinz Petters ist ein munter draufgängerischer Großknecht Wastl. Die Bühnenbilder von Maxi Tschunko vermeiden geschickt Allzunaturalistisches.

Ein seinerzeit erfolgreiches, heute aber wenig bekanntes Stück von Nestroy, die Posse „Unverhofft“, führt das Volkstheater derzeit in den Wiener Außenbezirken vor. Der Partikulier Herr von Ledig schildert da mit Behagen die Vorteile des Ledigenstandes im Gegensatz zur argen Mühsal der Ehe. Doch wird seine geruhsame Muße nun nicht etwa, wie man vermuten würde, von etwelcher Weiblichkeit bedrängt, sondern — unverhofft — und zunächst unerklärlich liegt plötzlich ein Neugeborenes auf seinem Bett. Possensituation. Die Suche nach dem Vater des Kindes — vorübergehend muß er sich selbst dafür halten —, die dabei entstehende Wirrnis füllen die etwas primitiv wirkende Posse. Menschlichkeit wird spürbar: Empörung über das „Geschenk“ mischt sich bei dem Hagestolz mit Zuneigung zu dem kleinen Zappelnden, deren er sich nicht erwehren kann. Typischer Nestroy sind aber nur ein Couplet und einiges facettiert Geschliffenes. Herbert Propst erweist sich unter der Regie von Karl Schuster als ein Partikulier Ledig von sattem Behagen und plusternder Aufgeregtheit.

Die Posse „Die wundersame Schustersfrau“ von Federico Garcia Lorca, die derzeit von den „Komödianten“ im Theater am Börseplatz aufgeführt wird, bezeichnet der Autor als „tolle Volkskomödie“. Die junge Frau des Dorfschusters, die ihrem sanften, älteren Mann das Leben zur Hölle macht, erregt bei ihren Nachbarinnen Ärgernis, sie mischen sich ein, worauf er es nicht mehr aushält und davongeht. Innere Umkehr dadurch bei ihr, der gute Herzensgrund wird frei und die beiden finden zueinander, als er In der Verkleidung eines Balladensängers zurückkehrt und die Maske fallen läßt. Hier gischtet südliche Leidenschaft, das allzu heftige Temperament der Schustersfrau, die hämische Neugier und Bösartigkeit der Dorfbewohner. Die Posse wird zur Volksballade mit poetischen Aspekten.

Lorca betont, das Spiel — Regieanweisung — dürfe nicht übertrieben werden, die Posse erfordere durchwegs Natürlichkeit. Anderseits aber hat er diesen Vorwurf auch als Ballett konzipiert. Man sprach von Zügen der Commedia dell'arte, des Puppentheaters, der Anreiz zum Be-wegungsrnäßigen bei der Wiedergabe wird im Text spürbar, so ist es berechtigt, daß Conny Hannes Meyer als Regisseur das Mimische betont und ins Pantomimische höht. Helga Illich als Schustersfrau und Gunter W. L'dmmert als Dorfschuster, wie die übrigen Mitwirkenden, werden in dem fragmentarischen Bühnenbild von Gerhard Jax zu schätzbaren Interpreten dieser Auffassung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung