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Neue Prager Fensterstürze
Unerwartete Fensterstürze haben ir der tschechischen Politik seit jeher eine große Rolle gespielt, von jenem denkwürdigsten an, der den Dreißig jährigen Krieg einleitete, bis zu dem von tragischem Geheimnis umgebenen Jan Masaryks, der sich zu Beginn der volksdemokratischen Ära ereignete. Heute noch auf stolzen Pferdekräften im LurfüSauto und an der Macht, morgen durch die Brust geschossen, als Verräter, Abweicher, Söldling Wallstreets, als Zionist oder Revisionist entlarvt: von Slänsky und Clementis zieht sich eine gespenstische Reihe bis zu Čepička und Bacilek, wobei nur der kleine Unterschied besteht, daß die ersten dauernd verschwunden sind, die letzten jedoch nur aus dem Umlauf zurückgezogen wurden und, wenn auch derzeit ohne viel Aussicht, auf fröhliche Wiederkehr hoffen dürfen.
Die Fensterstürze, die je nachdem gruppenweise oder im Einzelverfahren geschahen und geschehen, haben seit etwa einem Lustrum allmählich eine von der ursprünglichen verschiedene Färbung erhalten. Während sie vordem denen drohten, die von Stalins Generalissimuslinie und hernach vom Gebot seiner in Prag zäh sich behauptenden Erben abwichen, kamen nun der Reihe nach die bisherigen Gralshüter der reinen Moskauer Lehre erster Lesart auf die schwarze Liste.
Ein politisch Scheintoter
Anno 195 3, kurz nach dem Tode des „Lokomotivführers der Weltge-
i schichte" — dessen Standbild sich als
• drohender Koloß in der böhmischen Hauptstadt erhob — saßen im allge-
• waltigen Politbüro Bacilek, Barak,
Čepička, Dolansky, Fierlinger, Antonin Novotny, Viliam Široky und Zä- potocky. Von ihnen ist Zäpotocky als Staatspräsident, geehrt und beweihräuchert, rechtzeitig gestorben. Novotny thront als dessen Nachfolger auf dem Hrädschin. Fierlinger ist, digni- fied, doch gar nicht efficient, auf den kurulischen Stuhl des Präsidenten der Nationalversammlung abgeschoben. Čepička, geschiedener Gatte der Tochter eines dritten Staatspräsidenten, Gottwalds, ist abserviert, und man liest von Zeit zu Zeit Gerüchte, daß ihm ein später Prozeß wegen begangener Irrtümer und Gesetzesübertretungen drohe. Barak, der sich in späteren Jahren eher liberaleren Tendenzen näherte, sitzt wegen dergleichen Verbrechen im Gefängnis (aus dem vielleicht auf einen guten zweitrangigen Posten zurückzukommen er einige Aussicht hat). Bacilek wurde vor kurzem aus allen Ämtern entfernt, an den Pranger gestellt, jedoch (noch) nicht prozessiert. Jedenfalls ist der gewesene Allgewaltige über die Slowakei, der davon träumte, über die gesamte Volksrepublik zu gebieten, heute ein politisch Toter (oder Scheintoter). Ko- pecky ist den Weg alles Irdischen gegangen. Doch Široky und Dolansky haben bis vor wenigen Tagen leitende Funktionen in Staat und Partei ausgeübt, der eine als Ministerpräsident seit März 1953, der andere als dessen Erster Stellvertreter.
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