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In Prag diesmal Neues

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„Jeder von uns, der in der Partei in jener Ära arbeitete, die vom Kult der Persönlichkeit durchdrungen war, zollte dem Kult einen größeren oder kleineren Tribut.“ Mit diesen aufrichtig klingenden Worten deutete der ZK-Sekretär für Fragen der Ideologie, Jiri Hndryh, auf dem in der vergangenen Woche abgehaltenen XII. Parteitag der KP der Tschechoslowakei das kollektive Schuldbewußtsein der Mehrheit der heutigen Parteiführung zwar leise an, doch blieben wTgonelle Änderungen auch diesmal auf. Die alten, zum Teil schon stark abgenützten Namen blieben, nur vereinzelt konnten sich einige wenige, vorwiegend wirtschaftlich beschlagene Parteifunktionär zur Spitz vorarbeiten.

Die tschechoslowakische Parteiführung- hatte sich vor allem mit drei wichtigen Problemen auseinanderzusetzen: mit der gegenüber anderen Bruderparteien stark in Verzug geratenen Entstalinisierung, mit Demokratisierungstendenzen in den unteren Parteiorganisationen und nicht zuletzt mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes. Sie entledigte sich dieser Aufgaben auf eine für tschechische Parteiverhältnisse bereits typische Art: nur nichts überstürzen und nur das Unvermeidliche und Allernotwendigste tun, um die Bevölkerung nicht unnötig zu beunruhigen. Es fragt sich allerdings, ob nicht eine allgemeine Lethargie die Folge sein wird.

Im Falle der Entstalinisierung, oder, auf parteitschechisch ausgedrückt, bei der Beseitigung der Überreste des Persönlichkeitskultes, hatte man einen Sündenbock parat: den Innenminister der Jahre 1953 bis 1961, Rudolf Barak, der zugleich Vorsitzender der 195 5 bis 1957 amtierenden Parteikommission zur Überprüfung politischer Prozesse aus der Zeit des „Kültes“ war. Unter politischen Prozessen sind allerdings lediglich Gerichtsverfahren gegen führende Parteimitglieder zu verstehen, die, grob gesehen, in zwei Gruppen zerfallen: die vorwiegend jüdischen Intellektuellen, mit dem Generalsekretär Rudolf Slansky an der Spitze, die 1952 — drei Monate vor Stalins Tod — größtenteils auf dem Galgen endeten, und die slowakischen Nationalkommunisten, die, obwohl schon 1951 verhaftet, erst 1954 zu langjährigen Kerkerstrafen verurteilt wurden. Die meisten Überlebenden wurden im Zuge der ersten Entstalini-sierungswelle nach dem sowjetischen Parteikongreß de Jahres 1956 freigelassen, eine öffentliche Rehabilitierung wurde jedoch nicht ausgesprochen. Sie kamen in untergeordneten Stellungen unter, obwohl es sich um viele ehemalige Vizeminister und Staatssekretäre handelte. Die Rückkehr ins politische Leben blieb ihnen verwehrt.

Nach der Absetzung von Rudolf Barak als Innenminister im Juni vergangenen Jahres kamen jedoch, wie der Parteichef und Staatspräsident Antonin N o v o t n y beim Kongreß berichtete, wichtige Tatsachen zutage, die davon zeugen, daß Barak die Überprüfung der politischen Prozesse nicht konsequent durchgeführt und manche Schuldige an der Verletzung der Gesetzmäßigkeit in seinem Ministerium gedeckt habe. Er hätte damit spekuliert, daß er die dabei gewonnenen Kenntnisse zu seinen Gunsten (das heißt gegen andere Parteiführer) ausnützen werde. Es ist allgemein bekannt, Novotny hat es bereits einmal bestätigt, und Lubomir Strougal, Baraks Nachfolger als Innenminister, wiederholte es in seiner Kongreßrede, daß Barak die höchste Macht in Partei und Staat angestrebt habe und Novotny verdrängen wollte. Seine Verurteilung zu 15 Jahren Kerker im letzten Frühjahr wegen Veruntreuung von Staatsgeldern, darunter von Valuten zur Bezahlung der im Ausland tätigen Agenten, machte seiner Karriere ein Ende. Nunmehr wird er für die zögernde Revision politischer Prozesse verantwortlich gemacht. (

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