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Pas de deux in Asien

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Peter Rindl ist ein hervorragender Beobachter und ein Mann, der glänzend schreiben kann. Wir verdanken ihm eines der besten Japanbücher seit Lafcadio Hearn. Sein neues Werk über die vielfältigen Verstrickungen von Nationalismus und Kommunismus in Südostasien hat die Faszinationskraft eines geistigen Abenteuers, denn anders kann man den Versuch, alle Kämpfe und Krämpfe eines Weltteiles auf das dialektische Miteinander und Gegeneinander zweier übermächtiger historischer Kräfte zurückzuführen, kaum bezeichnen. Mit weniger wollte er sich nicht begnügen, selbst ein ehrenvolles Scheitern an dieser Aufgabe wäre viel. Rindl ist keineswegs gescheitert, aber die Bewältigung dieses Buches ist eine Aufgabe, an der der Leser zu scheitern droht.

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Peter Rindl ist ein hervorragender Beobachter und ein Mann, der glänzend schreiben kann. Wir verdanken ihm eines der besten Japanbücher seit Lafcadio Hearn. Sein neues Werk über die vielfältigen Verstrickungen von Nationalismus und Kommunismus in Südostasien hat die Faszinationskraft eines geistigen Abenteuers, denn anders kann man den Versuch, alle Kämpfe und Krämpfe eines Weltteiles auf das dialektische Miteinander und Gegeneinander zweier übermächtiger historischer Kräfte zurückzuführen, kaum bezeichnen. Mit weniger wollte er sich nicht begnügen, selbst ein ehrenvolles Scheitern an dieser Aufgabe wäre viel. Rindl ist keineswegs gescheitert, aber die Bewältigung dieses Buches ist eine Aufgabe, an der der Leser zu scheitern droht.

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Kernthese: „In den Ländern Ostasiens sind Nationaliismus und Kommunismus unlösbar miteinander verknüpft, als Kräfte der gegenseitigen Vernichtung, als Kräfte der Ergänzung ... Seit Lenin den .Antiim-perialismus' in Asien als ergänzende Kraft der proletarischen Revolution in Europa der Komintern zur Pflege empfahl und Dr. Sun Yat-sen den Bolschewismus als Hilfskraft gegen die Großmächte des Westens für China mobilisierte, tanzen Nationalismus und Kommunismus in Ostasien pausenlos ihren Pas de deux: einen Takt in harmonischer Umschlingung, dann wieder einander an der Kehle würgend; doch immer gemeinsam und in Beziehung zueinander auf der Bühne der ostasdatischen Revolution.“

Das ist nicht nur hervorragend formuliert, diese These ist auch durchzuhalten. Wie weit — das ist die Frage. Was einen Leser, der Theorien zur Erklärung politischer und historischer Sachverhalte als Herausforderung nicht nur zum Mit-, sondern auch zum Dagegendenken betrachtet, einigermaßen verstört, ist die Tatsache, daß ihm Peter Rindl wenig Chancen läßt, sich gegen diese Lawine politischer Eloquenz zu behaupten. Eine enzyklopädische Fülle von politischen und historischen Informationen, Sätze von bestechender Eleganz, eingebettet in weit ausholende Beschreibungen einer des sinnlich Illustrativen weitgehend entkleideten politischen und psychologischen Landschaft, seitenlanges Hinarbeiten auf plötzliche, verblüffende Pointen, die immer aus der Sache kommen und nicht nur aus dem Wort, alles das bricht über den Leser herein, als Fleisch an einem theoretischen Skelett, dessen Funktionstüchtigkeit bei einem ersten Lesen des Buches ungefähr so nachprüfbar wirkt wie die wunderbar geschlossene, ptolemäiische Theorie von den Gestirnbewegungen. Das soll nicht heißen, daß die Theorie nicht stimmt. Das soll nur sagen, daß, wer den Stoff nicht ebenso souverän beherrscht, leicht den Eindruck gewinnt, einer sehr individuellen Interpretation der Wirklichkeit ausgeliefert zu sein, der man sich vielleicht lieber und freiwillig ausgeliefert hätte, wäre sie nicht so niederschmetternd unwiderlegbar vorgebracht. Solche Bücher entstehen aus dem seltenen Zusammenkommen totalen Engagements mit einem ebenso totalen Streben nach Vergewisserung. Es sind die Bücher, mit denen man sich am schwersten tut und von denen man am meisten hat. Jenen, die sich einen Rest an revolutionären Illusionen bewahrt haben, mögen am bittersten jene Stellen munden, die nur ein Autor schreiben konnte, der sich von seinen eigenen Illusionen ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Verletzungen befreit hat. Etwa: „Doch im Kommunismus gibt es auch Elemente, die auf den Menschen des Fernen Ostens abstoßend wirken, so der Beginn des Kommunismus als Kraft des Internationalismus, die Kampfstellung des Kommunismus gegen die traditionellen Lehren und Religionen, vor allem die Notwendigkeit, die angestammte Hierarchie durch eine neue zu ersetzen; die Forderung, dje autochthone und traditionelle Stufenleiter umzuwerfen und an ihne Stelle die nicht völlig fremde, doch andere Stufenleiter des Kommunismus zu setzen. Die Sympathie für die verwandten Züge im Kommunismus und die Ablehnung des Um-atürzlerdschen, das miilt dem Kommunismus importiert wird, sind der positive Pol und der negative Pol im großen Pas de deux.“

Einiges in diesem Buch könnte sich, an geeigneter Stelle deponiert, als Sprengstoff in der großen Auseinandersetzung um Stalin erweisen: Rindl weist darauf hin, daß der Diktator nicht nur die chinesischen Kommunalsten Tsehiangkadsehek geopfert und die Warner liquidiert hat, sondern daß er sie selbst nach dem zweiten Weltkrieg noch zu einem Bündnis mit Tschiiang überreden wollte.

Machtdemonstrationen wirken in Asien, auch die DDR-Diplomaten „wissen genau, was sie tun, wenn sie bei ihrem Auftreten in Ost- und Südostasien ihren Patent-Antinazis-mus, die Zugnummer für Europa, sorgfältig verbergen... Als der Rundfunk die ersten Nachrichten über die Invasion der Mächte des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei meldete—der (ostdeutsche, Anm. d. Red.) Journalist befand sich gerade als Mitglied eines Begleiterteams des Außeriminisitiars Malik in Westirdan —, versuchte er erst gar nicht, das Geschehen abzuleugnen, zu bagatellisieren oder zu kommentieren. Im Gegenteil, er schwelgte einen Abend lang in Schilderungen vom deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei im Jahre 1938. ,Die Tschechen lernten, was Disziplin ist, und hielten sich daran.'“ In Asien fallen solche Sätze auf einen fruchtbaren Boden. Dem Vernehmen nach schreibt er an einem Buch mit dem Arbeitstitel „Angst in Asien“. Mag sein, daß mit der Angst, der dritten, unsichtbaren Kraft im asiatischen Schicksalstanz das durch Reduktion zeitweilig überstrapaziert erscheinende Modell erst seine volle Überzeugungskraft erhält.

MACHT AUS DEN MÜNDUNGEN DER GEWEHRE. Nationalismus und Kommunismus in Südostasien. Von Peter Rindl. Wollzeilen-Verlag, Wien. 296 Seiten, 16 Porträts, Leinen, S 169.—.

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