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Poe, der „literarische Ingenieur“

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Was die wahren Gründe für die Feindschaft gegen die Natur sind, errät man, wenn man bemerkt, daß sie begleitet sind von einer

Ablehnung der Inspiration.

Schon Edgar Allan Poe entwickelt in seiner „Philosophy of Composition“ (1845) das Prinzip, nach dem man ein Gedicht — als Beispiel dient sein Gedicht „The Raven“ — in einer Art von logischem Kalkül konstruieren kann. At eh vor Baudelaire, dessen großes Vorbild Poe gewesen ist, findet die Inspiration keine Gnade. Bestenfalls wird die Inspiration zum bloßen Material, das der Dichter nach Gutdünken mit der poetischen Technik formt. „Aber die Inspiration ist immer noch Natur. Sie kommt, wann sie will — urplötzlich.“ Deshalb träumt auch Baudelaire davon, an Stelle des dichterischen Ereignisses die reine Technik zu setzen (Sartre). Er spricht von sich als einem „literarischen Arbeiter“

Im selben Geist wird dann Valery Poe als einen „literarischen Ingenieur“ rühmen und bekennen, daß er ein in voller Bewußtheit gemachtes mittelmäßiges Gedicht einem Meisterwerk der dichterischen Inspiration vorziehen würde; doch seine wahren Gedichte sind nicht nach diesen Maximen, sondern trotz ihnen entstanden. Der letzte Schritt sind dann von „literarischen Ingenieuren“ informierte Maschinen, die Gedichte, nein: „Texte“ produzieren.

Das heißt:

Der Zug im Tunnel

Der Moderne wünscht sich mit einer Welt zu umgeben, die ganz allein von ihm gemacht ist, ja gemacht von Fähigkeiten seines Inne- rer die gaaz, ixijseijifir Macht .stehen. Er kann es nicht ertragen, in der Natur, in der Inspiration Mächten zu begegnen, über die er nicht allein Herr ist. Er will absolut autonom sein und weigert sich, zu empfangen. Am Grund seiner Ressentiments kommt ein luziferischer Hochmut zum Vorschein.

„Um als unbeschränkter Herr seines Seins zu erscheinen, muß der Mensch das Sein so einschränken, daß die Schranken nicht mehr sichtbar sind“ (Voegelin); im Dunkel des Tunnels sieht man die Wände nicht. Und eben dazu verhilft ihm eine demiurgische Technik und eine Kümmerform der Kunst, welche die Verbindung zur Transzendenz gekappt hat. Der Zug ist in den Tunnel eingefahren, geführt von „kühnen“ Maschinisten, welche das geistige Dunkel, das sich um sie ausbreitet, nicht nur nicht scheuen, sondern suchen. Sie führen im langen Zug mit sich Generationen, die eingeschlossęn in einer leblosen Umwelt und ohne freien Blick auf den Himmel und die Sonne stumpf leiden, ohne sagen zu können, worunter, leiden und rebellieren. Dann wird der Zug im Tunnel angehalten. Er Wird nicht nur. angehalten, sondern der „Fortschritt“ in freiere Räume wird gestoppt: der Zug hat im Tunnel zu bleiben. Nun ist alles ausgeschaltet, was nicht vollkommen in der Macht des stolzen autonomen Menschen steht. Die lebendige Natur und die geistige Sonne sind nicht zu sehen, sie sind zu einer Illusion geworden. Die von Menschenhand errichteten Mauern des Tunnels sollen fortab für uns „die“ Welt sein. Der Mensch des Tunnels hat „das Bewußtsein der Grundlagen der Dinge und seiner eigenen Existenz“ verloren.

Daß der Tunnel ein Ende hat. merken empfindliche Augen daran, daß sie einen Lichtschimmer sehen, oder mehr fühlen als sehen, der nicht von künstlichen Lichtquellen ausgeht. Sehen wir einen solchen Lichtschimmer? Es gibt dafür Anzeichen. Doch lassen wir das Bild vom Tunnel fallen

Verheißungsvolle Ausblicke

In der Forstwirtschaft, im Wasserbau, im Straßenbau ist es Pionieren gelungen, die Entfernung zwischen

Technik und Natur zu überwinden, die Kluft zu schließen, die ein Jahrhundert der Verirrung zwischen der Natur und der Technik aufgerissen hat. Ein einziges Beispiel möge genügen, das zu illustrieren. Ich entnehme es aus dem bahnbrechenden Buch von Alwin Seifert „Im Zeitalter des Lebendigen“, dessen Titel noch eine Hoffnung ist. „Die richtige, sach- und naturgemäße Verbauung eines Wildbachs, eines Flusses sieht heute ganz anders aus als die falsche, .mechanistische von gestern; sie ist auf den ersten Blick den Werken der alten Welt wieder näher, menschlich befriedigender und obendrein, sozusagen .gratis , auch schöner. Das sachlichere, dem Wesen des Wassers und der Erde gemäßere Werk ist aber auch das modernere. Es gibt jüngere, feinere Formen des gleichen sachlichen Denkens, auf dem auch alle gute .Technik am Anorganischen beruht. Die Erfahrungen, auf denen sie aufbauen, sind .Erfahrungen höherer Art (Goethe), und die Methoden, mit denen sie arbeiten, sind der lebendigen Natur besser angepaßt, geschmeidiger, gewaltloser, naturnäher und deshalb auch in einem ganz bestimmten Sinn menschennäher, menschlicher. An diesem einzigen Beispiel könnte man wenigstens eine Ahnung davon bekommen, wie eine menschlichere Modernität aussehen wird.“

Diesen menschlichen Fortschritt, der allein den mißbrauchten Namen verdierrt-,--gibt es eklatant erst-w wenigen Gebieten. Aber diese bescheidenen Beispiele sind verheißungsvoller als pompösere Programme und Postulate, die „Technik wieder der Herrschaft des Menschen zu unterwerfen“, welcher nicht angeben könne, wie das geschehen soll, denn die Proben zeigen etwas schon Erreichtes. Die falsche Entgegensetzung von Technik und Natur ist im Bereiche des Lebendigen nicht unüberwindbar, und das gibt Hoffnung auf einen gleichsinnigen Ausgleich auch auf den höheren Stufen der Wirklichkeit.

Deshalb soll nicht unterschätzt werden, daß sich auch im Städtebau und im Wohnhausbau

Stimmen einer schöpferischen Unzufriedenheit melden: „Langsam, leider nur sehr langsam breitet sich die Erkenntnis aus, daß etwas im heutigen Bauen grundlegend falsch sein müsse, wenn man auch höchst selten nach den Gründen fragt.“ „Wir vergessen, daß das altüberkommene Bauen bis auf wenige Ausnahmen viel lebendiger war als unser heutiges. Das Bauen hat, in seiner Gesamtheit gesehen, noch nie so starre Baumethoden angewendet wie heute.“ „Allein die Tatsache, daß hier und da ein Wunsch zu spüren ist, so zu bauen, daß der Bau lebendiger aussieht, ist schon ein Zeichen der Unzufriedenheit.“ „Wenn doch nur Verständnis, offene Augen, Ohren und Sinne da wären, dann müßte Europas Landschaft nicht zugrunde gehen!“ Doch viel zuwenige Architekten sind sich „ihrer produktiven Mittlerrolle zwischen der mathematisch-abstrakten und der lebendigen Welt bewußt" (Otto Frei, 1962). Das ist nicht die Stimme einer abgeschriebenen Vergangenheit, sondern die eines der wirklich fortschrittlichen Architekten der jungen Generation, die Stimme der Modernität von heute, nicht der von gestern oder vorgestern, die Stimme einer tieferen Sachlichkeit.

Und der Schluß? Wir müssen „das Bewußtsein der Grundlagen der Dinge und unserer Existenz“ wiedergewinnen, „wir müssen fortfahren, die Welt zu schaffen“ (Bjerajajew) in einem Geiste, der ihrer ganzen Wirklichkeit entspricht.

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