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Der junge Wildgans

19451960198020002020

Anton Wildgans: Aus dem literarischen Nachlaß des Dichters. Sonderausgabe aus Anton Wildgans' „Sämtlichen Werke“, herausgegeben unter Mitwirkung von Dr. Otto Rommel von Lilly Wildgans. Gemeinschaftsverlag Bellaria-Verlag, Wien —Verlag Anton Pustet,Graz o. J. Hlw., 460 Seiten

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Anton Wildgans: Aus dem literarischen Nachlaß des Dichters. Sonderausgabe aus Anton Wildgans' „Sämtlichen Werke“, herausgegeben unter Mitwirkung von Dr. Otto Rommel von Lilly Wildgans. Gemeinschaftsverlag Bellaria-Verlag, Wien —Verlag Anton Pustet,Graz o. J. Hlw., 460 Seiten

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Aus diesem Band fällt — um es nur gleich zu sagen — ein völlig neues Licht auf die liebenswerte, uns Österreichern immer gegenwärtige Gestalt des Dichters. Wer über die Werke der ersten, von Wildgans selbst besorgten Gesamtausgaben hinaus den Werdegang des Autors kennenlernen wollte, war bisher auf die gewiß äußerlich wie innerlich reiche Briefhleratur und vereinzelte, im Nachlaßband der „Gesammelten Werke“ und im Briefwerk von 1947 publizierte Jugendarbeiten angewiesen. Erst der vorliegende Band gewährt tieferen Einblick in die Fülle der menschlichen und künstlerischen Probleme, die den jungen Wildgans bedrängten, und stellt doch — wenn wir das am Schluß angefügte „Verzeichnis der im Anton-Wildgans-Archiv in Mödling verwahrten Texte der Jugendwerke des Dichters“ zum Vergleich heranziehen — nur eine knappe Auswahl dar. Dieses Verzeichnis, das im großen ganzen bis etwa 1915 reicht, nennt 167 Manuskripte, dramatische und novellistische Entwürfe, Skizzen und Fragmente, oft in mehreren Fassungen, aber auch manche zu Ende geführte Dichtungen. Staunenswert ist allein schon die Vielfalt dieser jugendlich stürmischen Produktion, zumal eines Mannes, der in den Jahren seiner Meisterschaft 60 schwer mit dem Worte rang; bewundernswert die „richterliche“ Strenge, mit der er bei Zusammenstellung der ersten Gesamtausgabe all diese größtenteils verheißungsvollen Jugendwerke zurückstellte. Ihre nunmehrige Veröffentlichung in einer wohldurchdachten Auswahl ist — nachdem der vor fast 19 Jahren verstorbene Dichter zum Gemeingut der Öffentlichkeit geworden ist — durch den allgemeinen Wunsch nach tieferer Erkennlnis seines Wesens und Werdens gerechtfertigt. Und wo der Autor gerne noch einmal die feilende Hand angelegt hätte und darum die Veröffentlichung noch nicht zuließ, wollen wir uns, da das Schicksal diese Überarbeitung verwehrte, doch des Werkes, sei es auch in nicht ganz vollendeter Gestalt, erfreuen. Dr. Otto Rommel fügt dem Band eine zusammenfassende Würdigung, „Die Werdezeit des Dichters Anton Wildgans“, an, die auf Grund des handschriftlichen Nachlasses einen vor allem ideengeschichtlich-biographischen Uberblick bietet und nur leider allzu viel Selbstbeschränkung übt, so daß die zur Veröffentlichung ausgewählten Werke vielleicht zu flüchtig behandelt werden.

Die Reihe dieser Schriften selbst ist zunächst für die Betrachtung des Gesamtoeuvres aufschlußreich. Auch manche an sich unfertige, tastende Versuche der Jugend, Skizzen und Novelletten gewinnen besonderen Reiz, wenn man sie mit den späteren Meisterwerken in Beziehung setzt. Sie stellen deutliche Vorstufen dar; die den Dichter immer wieder beschäftigenden Typen — die Magd, das Vorstadtmädel, der skrupellose Erfolgmensch, der innerlich bedrängte, sich nach außen als „Gauklei“ gebärdende Jüngling mit dem zigeunerhaften Geigenspiel (ein Abbild des Autors selbst) — werden hier in Studien allmählich plastisch ausgeformt, wie auch die eigentümliche Problematik Wildgans' immer deutlicher Gestalt annimmt. Natürlich kann es nicht anders sein, als daß manches noch die Abhängigkeit von Vorbildern zeigt, von Klassik und Romantik, dann von der damaligen „Moderne“, von Strindberg, Schnitzler, Hofmannsthal. Und doch finden wir vielfach bereits die eigene Handschrift des Dichters, früher in den großartig sicher geführten dramatischen Skizzen als in den Erzählungen, die länger am Konventionellen haften. Eine besondere Stellung unter den Bühnenwerken beansprucht „Herr ölwein“, dessen psychologische Linienführung in dem hier wiedergegebenen dritten Akt manchen edlen Zug aufweist; und doch ist aus diesem Bruchstück die hochtönende Bezeichnung „Ein Drama 6ub specie aeternitatis“ nicht ganz zu verstehen. Wir wissen freilich aus den Briefen, wie oft Wildgans zu diesem Plan zurückgekehrt ist und daß er damit manches vorhatte, was er für sich behielt. Dann aber tut sich der Blick auf ein Werk auf, das, auch ohne biographische Sicht, unmittelbar fesselt: ich meine das Epos in Prosa „Die irdische Maria“.

Uberblicken wir den Werdegang des Dichters, wie er sich in diesem Band darstellt, so ergibt 6ich — von persönlich-kindlichen Bekenntnissen abgesehen — ein Fortschreiten von psychologisch fesselnden, bisweilen etwas konstruiert anmutenden Einzelfällen, Sonderfällen zu wachsender Vereinfachung, Typisierung, zum Menschlich-Gemeinsamen. Der Aspekt richtet sich von Randproblemen des Menschlichen immer mehr ins Wesentliche, Zentrale — in dem Sinne, in dem im „Sommermittag“ von der Menschheit gesagt wird:

„Im Ewigmenschlichen will sie den Meister,

Das Seltsame ist für verspielte Geister.“

Am 17. April jährt sich zum 70. Male der Geburtstag des Dichters. Der neu erschienene Band mit seinem beziehungsreichen und mannigfaltigen Inhalt wirkt wie eine Gabe, die uns der Dichter aus reineren Gefilden, rückblickend auf seine, Erdenzeit, zugedacht hat. Sie wird viele dankbare Herzen finden.

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