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Die Vergangenheit für uns?
GESCHICHTE UND GESCHICHTSSCHREIBUNG, MÖGLICHKEITEN, AUFGABEN UND METHODEN. Texte von Voltaire bis zur Gegenwart. Herausgegeben und eingeleitet von Fritz Stern. K.-Piper-&-Co.-Verlag, München. 440 Seiten, DM 15.80.
Der amerikanische Historiker Fritz Stern hat in einer im Vorjahr ins Deutsche übersetzten Anthologie 33 Meinungen über „Geschichte und Geschichtsschreibung“ von Historikern der letzten 200 Jahre zusammengestellt. Es kommen sechs Nationen der „westlichen Welt“ zu Wort, und der Herausgeber glaubt, es gebe „zahlreiche Anzeichen dafür, daß wir hinsichtlich der Ziele und Methoden der Geschdchts'betrachtung an der Schwelle einer neuen Epoche stehen.“ Vom Historiker wird gesagt, er trage große Verantwortung, wenn er weder sein „Ich“ aufgibt noch bloß „passiver Berichterstatter“ sein will und außerdem seinen Beruf als sittliche Aufgabe betrachtet. Bei der Auswahl der abgedruckten Texte handelt es sich im Grunde darum, darzulegen, wie vielfältig die Ges<hichtsschreibung ist, je nachdem sie von der Stoffwahl, vom Standpunkt des Autors und vom System der Arbeit diktiert wird. Bei den Aussagen der 33 Historiker fällt sofort eine ziemlich weitgehende Übereinstimmung in grundsätzlichen Fragen auf: sie vertreten eine universelle Darstellung (Beard, Carfyle, Hofstadter, Ranke, Robinson, Voltaire), fordern intensive Grundlagenforschung (Fustel de Coulanges, Hui-zinga, Macaulay, Niebuhr, Ranke, Turner) und Objektivität. In letzterer Beziehung ist Beards Urteil über Ranke bemerkenswert, der keineswegs die Geschichte nur so sah, „wie es eigentlich war“ (Das behauptete bereits Thukydides! Der Rez.), sondern „durchaus als einer der parteiischesten Historiker bezeichnet werden kann.“ Die Franzosen schrieben 1876 im Vorwort zu ihrer „Revue Historique“, man könne Frankreich „die Einheit und sittliche Kraft geben, die es braucht, wenn wir es gleichzeitig mit seiner geschichtlichen Tradition bekannt machen“, und Bury äußerte sich 1902 ganz ähnlich, daß es nämlich „von lebenswichtiger Bedeutung für die Staatsbürger ist, eine genaue Kenntnis der Vergangenheit zu besitzen, damit der Einfluß dieser Bürger auf Gegenwart und Zukunft sich in den rechten Bahnen auswirken kann.“ Historiker marxistischer Richtung und in Diktaturen sind angeführt, um die Einwirkung des Gesinnungszwanges auf den Geschichtsschreiber zu zeigen.
Will man aus dem reichen, von Starn o-arwfAnAn Oprlflnkpmspriatz eine Lehre herausschälen, wäre es vielleicht die, daß Systeme, Methoden und Aufgaben wechseln, daß die Forschungsmöglichkeiten bleiben, mit allen ihren unausrottbaren guten und schlechten Neigungen. Verbindlich bleibt für sie: die Quellen exakt erschließen, dann aber nicht bei einer nüchternen Chronik stehenbleiben, sondern in der notwendigen Begründung der Ereignisse, in ihrer Ausdeutung und in der Wertung ihrer Auswirkungen freimütig den eigenen Standpunkt bekennen, was mit der wie immer empfundenen Objektivität durchaus vereinbar ist, will man den Gipfel einer von Kunst gekrönten Wissenschaft erreichen. Dem könnte man noch beifügen, der Historiker müsse besonders als Biograph sein Berufsethos wahren, er dürfe dieses nie um den Preis eines mißverstandenen Wahrheitsfanatismus verleugnen, er dürfe nie einem Geschäft zuliebe Konzessionen an den Zeitgeist machen, und er möge sich nicht zu stark in der Wenn-Wäre-Hätte-Betrachtung verlieren.
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