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„Müssen wir Amerikaner werden?“

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Abschied von Europa? Von Heinrich Scharp. Verlag Josef Knecht, Frankfurt am Main Preis 8.80 DM.

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Abschied von Europa? Von Heinrich Scharp. Verlag Josef Knecht, Frankfurt am Main Preis 8.80 DM.

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Es gibt Bücher, bei denen man förmlich spürt, daß Verleger und Autor sich eine ganze Weile über den Titel nicht einig werden konnten. Das vorliegende scheint ein gutes Beispiel hiefür. „Abschied von Europa“ klingt wie ein Kompromiß, zu dem man sich schließlich durchgerungen hat, und der schmale, gelbe Streifen, mit dem das Blau des Umschlags kontrastiert wird, auf ihm steht zu lesen: „Müssen wir Amerikaner weiden?“ Die Antwort dieses Buches: Es geht um die Entdeckung Europas in einer neuen Epoche der Weltgeschichte, „verrät“, daß einer der beiden Partner des Disputes nur scheinbar nachgegeben und mit der Frage auf dem Umschlag die Akzente neuerlich in seinem Sinne verschoben hat. In der Tat sind die beiden Titel, jeder für sich, gut. Der Titel des gelben Streifens „Müssen wir Amerikaner werden?“ ist sogar ausgezeichnet. Es fragt sich nur, ob die Verleger auf die Dauer mit dem System, knallige Titel um ihrer selbst willen zu setzen und dabei immer weniger Rücksicht auf den Zusammenhang mit dem Buchthema zu nehmen, auf die Dauer gut fahren werden. Mit solchen Methoden wird allmählich doch eine Vertrauenskrise heraufbeschworen. Das Buch Heinrich Scharps hat wenig mit einem „Abschied von Europa“ und noch weniger mit der Frage zu tun, ob wir Amerikaner werden müssen. Die muß also ein anderer beantworten. Im übrigen ist es betrüblich, die Rezension des vorliegenden Werkes ans einem doch so negativen Aspekt beginnen z-u müssen, derm es liegt hier eine wohlausgewogene und fundierte Arbeit vor, die den Versuch macht, die politischen und geistigen Kräfte, die das Geschick des Abendlandes bisher bestimmten, in einer großen Uebersicht zusammenzufassen. Dabei wird der Stoff in drei große Epochen gegliedert. In der ersten Epoche wächst Europa aus griechisch-römischem Geiste zo einer Einheit, dem Imperium

Romanum, zusammen, in der zweiten Epoche ist das Medium der Integration das Christentum, während die dritte Epoche durch den Machtkampf der souveränen europäischen Staaten untereinander gekennzeichnet ist.

Hier ergibt sich natürlich die Frage, ob die dritte Epoche wirklich abgeschlossen ist, oder ob die Kämpfe, die sich bisher abspielten, in einer späteren Zeit nur als das Präludium einer dritten Einigung erscheinen werden. Sind nicht bereits Ansätze vorhanden? Wie stark sind die auf die Integration drängenden Kräfte? Ist ein universales Konzept vorhanden, auf das die verschiedenen Impulse abgestimmt werden können, und wenn ja, inwieferne unterscheidet sich dieses Konzept von dem russischen auf der einen und von dem amerikanischen auf der anderen Seite? Das ist eine ungeheure Frage und in ihre Tiefen dringt Heinrich Scharp nicht ein.

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