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Neues Wohnen?

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Die Wohnkultur unserer Zeit bevorzugt zwei Richtungen: die eine, gemäßigtere, die beispielsweise von manchen besseren Wiener Werkstätten vertreten wird, zeigt bieder- meierliche Tendenzen; sie versucht nach Möglichkeit, die vorbildlichen Prinzipien jenes vorbildlichen Wohnstils den Forderungen des Tages anzupassen. Leider läßt sich nicht bestreiten, daß sie dabei allmählich in eine gewisse Erstarrung und eine nicht angenehme, halbmondäne oder fast manieristische Haltung hineingeraten ist, in der es ihr am Einfall und am Sinn für Ma- terialgerechtheit zu mangeln beginnt. Auf der anderen Seite steht, wenn man von den kaum lebensfähigen surrealistischen und nachexpressionistischen Experimenten absieht, eine stark technisierende Schule, die etwa in Amerika jedes Möbelstück, nach psychologischen, biologischen und konstruktiven Grundsätzen austestet und gerne mit raffinierten und effektvollen Kunststoffen arbeitet. Die Ergebnisse verblüffen durch ihre bizarren Formen und dürften dem europäischen Geschmack kaum entsprechen. Zwischen diesen beiden Extremen einen klugen Ausgleich zu finden, wäre in der Tat für unsere Innenarchitekten, unter denen sich ja ausgezeichnete Köpfe befinden, eine ebenso interessante, wie vielversprechende Aufgabe.

Sie wäre es auch für unsere Möbelproduktion, die, offen gesagt, weit hinter den Anforderungen der Zeit zurückgeblieben ist. Sie hat noch nicht begriffen, daß jedermann, der eine neue Wohnung einrichtet, längst nicht mehr an eine symmetrische Anordnung seiner Einrichtungsgegenstände in den Hauptachsen des Raumes Bedacht nimmt, sondern sie, einem durchaus neuen Raumgefühl folgend, mit einem unbewußten Empfinden für Maße und Gewichte frei an den Wänden verteilt — und das tut keineswegs nur der Mann des raffinierten Geschmacks, sondern auch der Ungeschulte. Da dem aber so ist, haben die früher herkömmlichen Möbelensembles keine Berechtigung mehr; an ihre Stelle treten Verbindungen nichtuniformer Stücke, Standard- und Kombinationsmöbel, die beliebig zusammengestellt werden können. Dennoch aber erzeugen und propagieren die Fabriken ihre auf Hochglanz polierten und mit Imitationsfurnieren versehenen Möbelgarnituren weiter — vermutlich aus kaufmännischen Gründen. Der Käufer übersieht, daß das, was er da kauft, in zehn Jahren schäbig geworden sein wird, daß die aufgeleimten Furnieren über kurz oder lang unter dem Einfluß der Witterung springen und die Hochglanzpolituren fleckig werden müssen. Er weiß nicht — denn wer sagt es ihm? —, daß ein Gebrauchsgegenstand durch Benützung und Alter schöner, nicht häßlicher werden muß.

Auf all diese Umstände hinzuweisen, an Hand von Beispielen das Vorbildliche bekanntzumachen, wäre die Aufgabe einer Ausstellung, wie sie derzeit unter dem vielversprechenden Titel „N e u e s W o h n e n“ in der Zedlitz-Halle stattfindet, und die bedauerlicherweise nur zeigt, wie es nicht gemacht werden soll. Nicht das, was die Möbelfabriken heute in Massen herstellen, sondern das, was sie hertellen sollten, wäre zur Schau zu stellen gewesen.

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