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Szene und Mensch

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GESPRÄCHE MIT NAPOLEON. Herausge-geben von Friedrich S i e b u r g. Deutscher Taschenbuchverlag, München, 1962. 329 \siten. Preis 2.50 DM.

Untertanen tun gut daran, sich darüber ru informieren, wie Politik getrieben wird. Denn auch noch im „Zeitalter der Demokratien“, wo nichts so auffallend ist, wie der Mangel an Regierung, kann es dem Talent oder Genie eines Staatsmannes gelingen, aus Bürgern Untertanen zu machen, und mit dieser Mannschaft das Staatsschiff zu lenken. Wenige Bücher sind so ausgezeichnet geeignet, die Hintergründe der Politik zu beleuchten, wie die „Gespräche mit Napoleon“. Der große Korse konnte es sich leisten, offen zu sein. Kaum einer hat so gründlich geherrscht wie er, kaum einer hat auch so viel vom innersten Wesen der Politik geoffenbart. In seinen Gesprächen war er nicht nur der Souverän Europas — er war auch der souveräne Meister der Staatskunst, deren Gebrauch und Mißbrauch er gleicherweise demonstrierte.

Macht und Zielstrebigkeit waren in Napoleon vereint zu einer einzigartigen politischen Potenz. Sein persönlicher Ehrgeiz und seine militärischen Fähigkeiten brachten ihn an die Macht, die er dann dazu benützte, Ziele zu verfolgen, die, abgesehen von seinem subjektiven Wollen, als Entwicklungen in der Zeit lagen; ihnen gegenüber bedeuteten Metternichs Kunst-

stücke starke Rückschritte. Verhängnisvoll war auch seine Tyrannei, die ihn Macht und Ziele verwechseln ließ. Schließlich hielt er nämlich die Größe seiner Bestrebungen für identisch mit der Größe der ihm zu Gebote stehenden realen Macht. D.is brachte seinen Sturz.

Die Gespräche, die von Friedrich Sieburg ausgezeichnet ausgewählt und mit einem guten Vorwort versehen sind, umspannen einen Bogen, der von Napoleons Aufstieg bis zu seiner Demütigung auf St. Helena reicht. In der Tendenz der Auswahl wird klar, daß es nicht allein um die Größe einer geschichtlichen Gestalt und ihre Nachwirkungen geht, sondern daß srets das zu Wort kommt, Wort wird, was dem Franzosenkaiser Ruhm gab: die große Szene der Politik, das Spiel der Kräfte, der Ablauf menschlichen Geschicks. Eine Zeit wird lebendig, mehr noch, Menschen werden lebendig. Das schlägt auch die Brücke zu uns selbst. Während das Geschehen abrollt, wird uns klar, daß wir heute wie damals von den politischen Entscheidungen

betroffen sind, daß keiner kneifen kann und darf. Wir lesen von Napoleon, von seinem Ruhmesstreben, von seiner Hybris, wir finden in seinen Gesprächen die Glorie der französischen Nation und die Tragik seiner und der Franzosen Wirkung in Europa, und merken dafei, daß es sich hier nicht einfach um Tatsachen innerhalb de geschichtlichen Ablaufes handelt. Wir fühlen und selbst angesprochen, wir ergreifen Partei, Leidenschaften leben auf, und wir sind mitten drin in der politischen Entscheidung. Wir merken, es geht um uns selbst, und gerade die Gegenwart mit ihrer politischen Ziellosigkeit macht alle Fragen, alle Kritik, die bei der Lektüre auftauchen, doppelt relevant.

Friedrich Sieburg sagt irgendwo im Vorwort, daß das sittliche Beharrungsvermögen des gewöhnlichen Menschen endlich auch über Napoleon triumphierte. Was aber wäre dieses sittliche Beharrungsvermögen wert ohne die politische Potenz, die gerade einen Napoleon möglich machte.

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