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Verwandlungen

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Wer in Versuchung gerät, sobald er sich hier eingelesen hat, die stereotype Rezensentenformel: „Erstaunlich gut, dieses Buch, wenn man bedenkt, ein Erstling ...“, anzuwenden, verstummt beschämt, wird, vielleicht zum erstenmal, der ganzen Impertinenz dieser Floskel inne. Was Horst, auf der Höhe eines reifen Lebens, vorlegt, paßj in keine der üblichen Kategorien. Klan kann diese Geschichten nicht empfehlen, nein, vor ihnen sei gewarnt! Sie sind weder leicht noch angenehm zu lesen. Sie sind auch nicht gekonnt, sondern — nun, eben hier liegt der Haken. Wir machen den Versuch eines Apergus: Horst schreibt wie der späte Thomas Mann, gebrochen durch — sagen wir, gebrochen durch Bruder Klaus von der Flüe. Ein Paradoxon, gewiß, und das Spannungsfeld eines solchen ist nötig, Elemente dieser Wortgebilde anzudeuten, die uns den Zutritt zunächst hartnäckig verwehren wollen. Kaum ausgesprochen, liegt der Vergleich schon schief. Ja, die Eleganz der Diktion, das anerzogen Weltmännische des Gehabens ist in dieser Prosa zu finden, die Künstlichkeit einer Begriffswelt, in der Worte voreinander Verstecken und gegeneinander Theater spielen — zugleich aber eine Atmosphäre, die anzeigt, daß hier geistig etwas geschieht.

Was geschieht, sind — und das führt über unsere Formel hinaus — Sprengungen im Gefüge gewohnter, allzugewohnter Wirklichkeitssedimente, sind Minen, die Horst im naiven Labyrinth des deutschen literarischen Denkens der Gegenwart hochgehen läßt, er, ein Abenteurer hier, ein echter Narr, ohne Rückversicherung, doch mit Methode. So gelingen ihm Formulierungen, in denen sich atmen läßt, weil sie ihr Gegenteil inbegreifen, sich selbst samt Ausgangspunkt und Ziel in Frage stellend, nicht bloß dialektisch, sondern in schwindelndem, doppeltem und dreifachem Salto mortale in dünner Luft Grenzen des Sagbaren erreichend, wie wir sie aus den unanschaulichen Deduktionen der höheren Mathematik und Philosophie kennen. Gerade hier aber wird's nicht fad, sondern erst recht spannend, denn es ereignet sich Leben, in und aus Begriffen, die, indem sie sind und wirken, schon weiter sich verwandeln. Alles bewegt sich, die Geschichten haben mit herkömmlichem Erzählgut sowenig gemeinsam wie Calders Mobiles mit Tafelbildern in Öl, sie verändern sich mit jeder Szene, fast mit jedem Satz, gedankliche Trans-substantiationen, möchte man sagen, doch ohne Willkür und nach geheimem Gesetz, und zuletzt hat der Vorgang doch etwas wie einen homogenen Körper und liegt im Fokus unserer Aufmerksamkeit.

Daß Horst Sprachkunstwerke Jorge Luis Borges ins Deutsche übertrug, war kein Zufall, sondern Wahl aus innerer Bedingung, und er wie Borges sind dort am stärksten, wo sie am schlichtesten sich geben, wo der Anlaß wie die hyperbolische Kurve der Durchführung am wenigsten die Konstruktion erkennen lassen. Eine Frau, die den Platz einer Vorgängerin einnimmt, ein Outsider, der aus dem Familien-gefüge fällt, ein Grübler, der das Koordinatensystem zu entziffern sucht, das zum Lebensopfer eines Freundes führte — das sind etliche der Anlässe zu diesen Erzählungen, sind Auslöser der Gedankenreize, als deren Folge sich des Autors Wortgebilde etablieren, Reflexionen, die zugleich Taten sind, Vorgänge, Gänge nach vorn, Wegstücke in Stollen, die im deutschen Sprachraum ins Neuland führen.

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