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Abbau von Macht

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Wenn wir schon im Norden mit unseren 500 bis 600 Millionen Menschen an ökologische Grenzen stoßen, welche Fragen stellen sich dann für die Belastbarkeit unseres Planeten, wenn wir die Entwick­lung in der Perspektive der Weltbe­völkerung sehen, im Hinblick auf fünf Milliarden Menschen heute, sieben Milliarden morgen und zehn Milliarden übermorgen.

Die wachsende Erdbevölkerung möchte nicht nur essen, sondern sinnvoll tätig sein, menschengerecht wohnen, sich bilden, medizinisch versorgt werden. All dies ist nur durch eine massive Steigerung auch des quantitativen Wachstums in diesen Ländern möglich.

Wenn unser Wohlstand weltweit verallgemeinert werden soll, dann bedeutet dies Zuwachsraten der Vernutzung von Landschaft, Roh­stoffen, Energie, die im strengen Sinn des Wortes bestenfalls für eine halbe Generation möglich sind....

Die Frage lautet also: Gestehen wir dem Rest der Erdbevölkerung, den 74 Prozent, menschenwürdige Lebensbedingungen zu? Wenn ja, dann erfordert dies einen grund­sätzlichen Umbau der ökonomi­schen und politischen Strukturen der Industrieländer.

Wenn es nicht zu diesem Umbau kommt, wenn wir also unseren Lebensstandard und unsere An­sprüche im bisherigen Stil weiter pflegen und ausbauen wollen, dann geht dies nur, wenn wir die Länder der Dritten Welt mit Gewalt daran hindern, diese unsere Wirtschafts­und Lebensweise nachzuahmen.

Ein Laufenlassen der quantita­tiven Wachstumsprozesse auf welt­weiter Ebene würde mit mathema­tischer Gewißheit zur Ruinierung der biologischen Grundlagen der Menschheit führen, zu einer Zer­störung der Öko-Sphäre.

Wenn wir aber mit Gewalt ver­suchen, den Rest der Erdbevölke­rung, die 74 Prozent, daran zu hin­dern, sich menschenwürdige und menschengerechtere Lebensbe­dingungen zu schaffen, dann wer­den diese Länder unsere Gewalt mit Gegengewalt beantworten.

Was zu besonderer Sorge Anlaß gibt, ist die Tatsache, daß wir immer weniger in der Lage sind, die ökolo­gischen, ökonomischen und techni­schen Prozesse zu steuern. Über die Entwicklung und den Einsatz von Technologien etwa wird in keinem Parlament abgestimmt.

Auf die Durchsetzungsmacht des technologischen Wandels antwortet der Staat mit einer Politik der nach­träglichen Grenzziehungen und der Schadensminimierung im Sinne der Symptomkur. Epochale Grundent­scheidungen, die zu einer Revolu­tionierung unserer Lebenswelt führen - denken wir nur an die Gentechnologie - werden an Parla­ment und Regierung vorbei einfach umgesetzt. Auch durch internatio­nale Entwicklungen - Marktver­flechtungen, Finanzmärkte, Kapi­talkonzentrationen, weltweiter. Austausch von Schad- und Gift­stoffen - wird dem nationalen Staat immer mehr an Kontroll- und Steuerungsmöglichkeit entzogen.

Mit einem Wort: die Macht der in sich verzahnten und verwach­senen Teilsysteme Wissenschaft, Technologie und Ökonomie be­stimmt immer mehr den Ablauf der Ereignisse. Es fehlt uns der po­litische Rahmen, diese Prozesse zu steuern.

Weder die Vorstands Vorsitzenden der großen Weltkonzerne oder der Großbanken, noch die Börsenmak­ler und Spekulanten, noch die Tech­niker der Überwachungssatelliten, noch die Chemiker in der Industrie, noch die Generäle, noch die vielen Mitläufer wünschen die Selbstzer­störung der Weltgesellschaft; aber das vorherrschende Handeln aller führt systemnotwendig zu einer wachsenen Zunahme der Zer­störung.

Auszüge aus: DEN ÖKO-SOZIALEN UM­BAU BEGINNEN: GRUNDEINKOMMEN. Von Lieselotte Wohlgenannt und Herwig Büchele. Europaverlag, Wien 1990. 255 Seiten, öS 198,-.

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