Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Am Gängelband
Sagt man spaßhalber, „eine Versammlung ist ein Treffen, das beschließt, wann man das nächste Mal zusammenkommt“, so wurde das Bonmot durch den in Born tagenden kleinen europäischen Gipfel noch in den Schatten gestellt. Die sechs „Alt-Partner“ und vier „Fast-Mitglieder“ der EWG waren sich nicht einmal einig, ob es sinnvoll ist, sich in absehbarer Zeit wiederum und vielleicht auf noch höherer Ebene um den grünen Tisch zu versammeln.
Sagt man spaßhalber, „eine Versammlung ist ein Treffen, das beschließt, wann man das nächste Mal zusammenkommt“, so wurde das Bonmot durch den in Born tagenden kleinen europäischen Gipfel noch in den Schatten gestellt. Die sechs „Alt-Partner“ und vier „Fast-Mitglieder“ der EWG waren sich nicht einmal einig, ob es sinnvoll ist, sich in absehbarer Zeit wiederum und vielleicht auf noch höherer Ebene um den grünen Tisch zu versammeln.
Die vorher in München stattgefundene Begegnung zwischen Pompidou und Brandt hatte ergeben, daß Paris und Bonn nach wie vor eine verschiedenartige, teilweise sogar entgegengesetzte Vorstellung von Europa haben. Kaum weniger als seinem Vorgänger im Amt des Staatspräsident, Charles de Gaulle, sind übernationale europäische Einrichtungen dem jetzigen Hausherrn im Elysee-Palast ein Greuel, und sei es auch nur, um bei den kommenden Wahlen keine Stimmen nach rechts zu verlieren, wo stramme Gaullisten darauf achten, daß Frankreich gegenüber der Bundesrepublik nicht ins Hintertreffen gerate, weiterhin Weltgeltung besitze und verhüten, daß etwas anderes als ein Europa der Vaterländer entstehe. Für Pompidou kann es unter selchen Vorzeichen nicht gleichgültig sein, ob der Sitz des zu bildenden politischen Sekretariates der „Zehn“ in Paris, Bonn, London oder Brüssel sein wird.
Willy Brandt geht es darum, mit konkreten Ergebnissen seinen Wählern zu beweisen, daß mindestens seine Westpolitik gute Früchte zeitigte und unter seinem Schutz und Schirm die Bundesrepublik einen entscheidenden Beitrag zur Verwirklichung eines vereinigten Europa leistete, wenigstens mithalf, diesem Ziele einen Schritt näherzukommen. Dem Wahlvolk gilt es zu beweisen, daß die Bundesrepublik nicht einfach die Rolle spielt, die den USA nach dem Kriege zugefallen war, das heißt reicher Onkel zu sein, der die Schulden und Sünden schlecht verwalteter und noch schlechter regierter Mitgliedstaaten immer weiter begleicht und tilgt.
Die italienische Regierung begrüßte die jetzige Zusammenkunft und unterstützte seit sechs Monaten das Zustandekommen des westeuropäischen Gipfels, weil sie lediglich mit Hilfe der Bündnispartner die Lira über Wasser halten, das heißt vor der Abwertung bewahren kann. Die vor drei Monaten gewährten Sonderzugeständnisse über die vorteilhafte Art, wie Italien seine Zahlungsbilanz im Gleichgewicht halten kann, laufen Ende September ab. Ihre Erneuerung gibt der italienischen Wirtschaft nochmals etwas Sauerstoff, um die Investitionskrise zu überwinden und vielleicht in absehbarer Zeit einen zweiten Boom zu erleben. Hat sich Rom bisher weder für das eine noch das andere, französische oder deutsche, Farbfernseh-verfahren entschieden, so kann das mit dieser Notlage in Zusammenhang gebracht werden: daß das Kabinett Andreotti weder Bonn noch Paris vor den Kopf stoßen, beide am Gängelband halten und dazu nötigen möchte, gegenüber seiner Forderung nach Verlängerung wichtiger Zugeständnisse genügend Verständnis aufzubringen und sie im Schoß der Bündnisgemeinschaft zu unterstüt-
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!