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Brücke zwischen Kirchen

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Gelegentliche Jubelmeldungen über positive Auswirkungen der Gorbatschowschen Reformpolitik auf die Gewissensund Religionsfreiheit in kommunistischen Staaten halten einer nüchternen Beobachtung nur selten stand. Trotz mancher Anzeichen auf eine Besserung der Lage für Gläubige in Osteuropa (FURCHE 45/1987), meint der langjährige (seit 1979) Leiter des in Wien beheimateten kirchlichen „Europäischen Hilfsfonds“ (EHF), Wilhelm Reitzer, Prälat und früher Domkapitular der deutschen Diözese Eichstätt, daß zwar untergründige Veränderungen in kommunistischen Ländern spürbar seien, vor allem bei Literaten und Phüosophen, aber klare Verbesserungen der offiziellen Religionspolitik vorläufig noch nicht ersichtlich sind.

Trotz Glasnost und Perestrojka sind seinen Beobachtungen nach — und Reitzer war oft in kommunistischen Staaten unterwegs -die Christen in Osteuropa nach wie vor Staatsbürger zweiter Klasse. Zwar verweisen die Funktionäre gern auf die Verankerung der Religions- und Kultfreiheit in den Verfassungen, Verwaltungsund Strafbestimmungen bieten jedoch die Möglichkeit, die Religionsausübung zu kontrollieren und einzuschränken. Nur wer auf Privilegien und Karriere verzichtet, kann - so Reitzer - relativ ungestört als Christ leben.

Prälat Reitzer, der sich jetzt als Siebzigjähriger von der Leitung des 1970 von der Osterreichischen Bischofskonferenz gegründeten und seit 1971 von den deutschen Bischöfen wesentlich mitgetragenen „Europäischen Hilfsfonds“ zurückzieht, ist ein Mensch, der nicht auf Strukturveränderungen wartet, sondern zupackt, wo es notwendig ist.

Dabei arbeitete er immer auf der Basis der gesetzlichen Bestimmungen in den jeweiligen Ländern, was heißt, daß die Abwicklung der Finanzhilfe für Kirchen in Osteuropa über die Außenhandelsstellen der sogenannten sozialistischen Länder erfolgte und noch immer erfolgt.

Reitzers Wirken ist ein Beleg dafür, daß eine verhältnismäßig kleine kirchliche Stelle ohne großes Reüssieren in der Öffentlichkeit einen Beitrag zur Weltveränderung leisten kann und damit Ergebnisse zeitigt.

Für Reitzer ist es ein „positives Zeichen“, daß die katholische Kirche im zerrissenen Europa so viele Möglichkeiten zum Kontakt und zu gegenseitiger Hilfe hat. So fungiert der EHF, der aus vielen Einzelaktionen — wie etwa der Ungarn-Hilfe und der Erdbebenhilfe für Jugoslawien — hervorgegangen ist, als Brücke zwischen Teükirchen, die in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen bestehen.

Der EHF will das kirchliche Leben in europäischen Ländern mit Rat und Tat unterstützen und für die Zukunft stärken. Reitzer suchte zunächst das Gespräch, dann erst wurden Zuwendungen zum Ausbau und zur Festigung kirchlicher Strukturen, zum Bau, zur Ausstattung kirchlicher Gebäude sowie zur Beschaffung pastoraler Hilfsmittel gegeben. Weltpriester, Ordensangehörige und sonstige kirchliche Mitarbeiter in Osteuropa, aber auch in Griechenland, in der Türkei und in Portugal erhalten durch den EHF Existenzhilfe geistiger und materieller Art. Außerdem hüft der EHF in akuten Notfällen.

In den kommunistisch regierten Ländern schaut die Finanzhilfe des EHF unterschiedlich aus. Wichtigste Hilfe wäre religiöse und theologische Literatur, die aber nicht in alle Länder gesandt werden kann.

Reitzer beklagt, daß er seit vier Jahren kein Visum mehr für die UdSSR erhalten hat und noch länger nicht für die CSSR. Geldüberweisungen - größtenteils aus Mitteln der Deutschen Bischofskonferenz — gehen zum Bau oder zur Renovierung kirchlicher Gebäude oder zum Autokauf für Pfarrer nach Osteuropa.

Die Kontrolle der EHF-Projek-te ist sehr genau. Die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Bischofskonferenzen ist selbstverständlich. Kontakte mit den in den Jahren 1948 bis 1950 in allen kommunistischen Ländern eingerichteten „Kirchenämtern“ sind deshalb normal. Von diesen „Kirchenämtern“ wird das gesamte kirchliche Leben beaufsichtigt und kontrolliert, damit es sich ,4m Rahmen der sozialistischen Gesetzlichkeit“ bewegt.

Die Aktionen des EHF, das kann nicht verschwiegen werden, sind natürlich nicht immer einfach, obwohl mit der gegebenen Hilfe keine wie immer geartete Ideologie transportiert wird. Der örtlichen Empfindsamkeit muß man natürlich vorsichtig begegnen. Denn es geht um vielfältige Hilfe für die Ortskirche, die sich eben in das kommunistische System nicht einordnen läßt.

Gegenwärtig machen sich Auswirkungen des christlich-marxistischen Dialogs positiv bemerkbar, konstatiert Reitzer. Die kommunistischen Regime bemühen sich in den letzten Jahren um eine Art „Bündnispolitik“ mit Christen. Allerdings besteht auch die Gefahr einer weitgehenden „Umarmung“, sodaß Christen, wenn der Sozialismus aufgebaut ist, kaum Luft zum Atmen bleibt.

Wesentlich ist für Reitzer eine Neubewertung der Religion durch marxistische Philosophen, die die christlichen Wurzeln Europas neu entdecken. Zudem — so Reitzer — registriere man auch im kommunistischen Bereich die Verwirklichung humanistischer Ziele durch die Kirche. Und von daher komme man auf die Frage, ob es denn human sei, andere Auffassungen grundsätzlich zu unterdrücken, sie nicht hochkommen zu lassen. Die Stärke der Kirche in der Friedensarbeit und -bewegung werde auch von Kommunisten als geistige Kraft gesehen.

Am wichtigsten sind für den scheidenden EHF-Leiter die menschlichen Kontakte. Uber diese Kontakte konnte Reitzer sehr viel geistige Hilfe bieten. Und diese Hilfe ist das Wertvollste, was in einer Welt gegeben werden kann, in der ideologische und politische Barrieren sogar das Denken der Menschen zweiteilen.

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