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Christ und Politik

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Bereits im Titel „Zwischen Rückzug und Aufbruch“ und im Untertitel „Christ und Politik“ des neuesten Buches von Wilhelm Grafl spiegelt sich die zweifache Absicht des Autors mit diesem Buch wieder: einerseits ist es das Buch des politisch außerordentlich interessierten und selbst engagierten Priesters und kirchlichen Organisators, der wieder die Stunde für ein stärkeres Interesse und Engagement der Katholiken im politischen Bereich gekommen sieht, anderseits ist dieses Buch die Sammlung eines reichen Schatzes an Erfahrungen des katholischen Erwachsenenbildners Grafl, gerade im Bereich des Verhältnisses des Christen zur Politik.

Dieses Buch ist keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema mit einem perfekten technischen Apparat, wenngleich eine Reihe von Literaturhinweisen dem interessierten Leser Brauchbares für ein weiteres Studium nahelegen. Dieses Buch will ein Handbuch für eine breitere Schichte von Lehrern, Religionslehrern, Erwachsenenbildnern, Leitern von Gruppen und Runden katholischer Organisationen und politisch Interessierten sein, die sich mit dem Problemkreis Christ und Politik konfrontieren wollen.

Von seinem Aufbau her führt das Buch zunächst in das christliche Weltverständnis ein und macht so die beiden grundsätzlichen und extremen Denkmöglichkeiten einer totalen politischen Abstinenz des Christen einerseits und eines Weltverständnisses anderseits, das das Reich Gottes bereits hier auf Erden mit politischen Mitteln umsetzen will, verständlich. Zwischen der Darlegung christlicher Prinzipien im Bereich der Politik durch eine kurze Einführung in die katholische Soziallehre und einschlägige päpstliche Enzykliken finden sich Deutungen der aktuellen Zeitsituation und Abrisse über die heute noch relevanten geistigen Strömungen, Liberalismus, Kommunismus, demokratischer Sozialismus. Verständlicherweise nimmt die Auseinandersetzung mit dem politischen Katholizismus, mit der politischen Verantwortung des Katholiken und den christlich demokratischen Parteien entsprechenden Raum ein.

Im letzten Kapitel „Forderungen für die Zukunft“ faßt Grafl nochmals die Intentionen seines Buches, für das die vorangegangenen Kapitel als Vorverständnis dienen, zusammen. Die erste Forderung richtet sich an die kirchliche Verkündigung. Grafl vertritt mit Recht die Meinung, „daß in ihr die politische Aufgabe des Katholiken leider oft zu kurz kommt; daß es gilt, die Gewissen zu schärfen, die Katholiken für die Fragen gesellschaftlicher Natur hellhörig zu machen und sie zum Einsatz im öffentlichen Leben zu ermutigen. Aber auch die Katholiken, die aus christlicher Verantwortung politisch tätig sind, dürfen sich von der Kirche nicht verlassen fühlen und sollen die notwendigen pastoralen Hilfen erhalten“. Der Autor ruft zu ideologischer Wachsamkeit auf und mißt der Bü- dungsfrage als Voraussetzung für die Beurteilung politischer Sachverhalte und für politisches Handeln größte Bedeutung bei.

An den Schluß des Buches stellt er ein Bekenntnis zu den Aktivitäten des katholischen Organisationslebens. Wer Grafl kennt, weiß, daß dieses Bekenntnis zu einem organisierten Katholizismus dem Autor, der maßgeblich am Aufbau der Katholischen Aktion im Burgenland nach dem Krieg beteiligt war und später die Tragfähigkeit einer organisierten Katholischen Aktion in Zweifel gezogen hat,

aus den Erfahrungen der nachkonzi- liaren und nachsynodalen Kirche in Österreich kommt, die Gefahr lief, über Strukturdebatten und innerkirchlicher Nabelbeschau den gesellschaftlichen Auftrag des Christen zu vergessen. „Die Kirche wird die Katholiken wieder an ihre politische Verantwortung erinnern. Jeder einzelne Katholik muß dieser Verantwortung nachkommen. Der Zusammenschluß engagierter Katholiken ist jedoch ein Weg, den Einsatz im gesellschaftspolitischen Bereich wirksamer zu gestalten … In Konfliktsituationen wird jedenfalls spürbar, daß Einzelkämpfer auf verlorenem Posten stehen. Gemeinsames Handeln ist ein unbedingtes Erfordernis unserer Zeit“

ZWISCHEN RÜCKZUG UND AUFBRUCH, Christ und Politik. Von Wilhelm Grafl. Styria-Verlag, Graz- Wien-Köln, 182 Seiten, kartoniert, öS 148.-.

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