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Der gefoppte Mieter

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„Soziale Systeme erweisen sich als unempfindlich gegen die meisten Maßnahmen, die zur Änderung des Systemverhaltens ergriffen werden. Das System zieht die Aufmerksamkeit gerade auf diese Stellen, an denen Versuche zum Eingreifen wirkungslos bleiben. Das ist die Folge unseres Bestrebens, für eine Erscheinung eine unmittelbar naheliegende Ursache zu rinden.“ So charakterisiert der bekannte Kybernetiker Jay W. Forester die heute vorherrschende Tendenz in der Wirtschafts- und Sozialpolitik in seinem im Auftrag des „Club of Rome“ verfaßten und international Aufsehen erregenden Buch „World Dynamics“ (deutsch: „Der teuflische Regelkreis“).

Die österreichische Mietenpolitik ist ein Musterbeispiel für diese falsche Systemkonforniität, und die vom Justizministerium ausgearbeitete Novelle liegt ganz auf dieser Linie: Es werden unmittelbar naheliegende Ursachen für die chronische Misere gesucht, wobei die Eigenge-setzlachkeit des Systems die Aufmerksamkeit automatisch auf Punkte lenkt, an denen die Eingriffe wirkungslos sind. Ob freilich die Initiatoren der neuen Novelle in gutem Glauben, wenn auch in völliger Systemblindheit handeln oder ob sie ganz bewußt pseudosoziale Maßnahmen von höchster gesellschaftspolitischer Brisanz setzen, sei dahingestellt.

Wie sehr es sich hierbei um bloße Scheinverbesserungen handelt, läßt sich am Beispiel der Mietzinsreserve verdeutlichen. Bekanntlich sind bisher die Hauseigentümer zum Rückgriff auf die Uberschüsse aus den Zinseinnahmen im Falle von Reparaturen nur für den Zeitraum von fünf Jahren verpflichtet. Diese Begrenzung soll nun fallen. Alle Überschüsse müssen künftig unbegrenzt für die Instandhaltung des Hauses . zur Vesrf ügung gestellt werden,

Diese Maßnahme ist zweifellos populär. Die in sie gesetzten Hoffnungen — nämlich: dadurch zu einer fühlbaren Verringerung der Zdnser-höhungen bei Reparaturen zu kommen — werden freilich enttäuscht werden.

Zweifellos kann die Bestimmung nur die künftig zu bildende Reserve, nicht die in der Vergangenheit eventuell aufgelaufene betreffen. Wenn ein Haus im Jahr 1900 gebaut wurde, so wäre niemand mehr imstande, die seither getätigten Ausgaben nachzuweisen; es müßten die Bruttoeinnahmen ohne Berücksichtigung der Ausgaben bereitgestellt werden — also in unserem Fall der ungefähr siebzigfache Jahresmietzins. Wenn man bedenkt, daß der Marktwert von mietergeschützten Objekten schon heute nur beim 20- bis 30fa-chen des Jahresmietzinses liegt, so erkennt man unschwer, daß eine so scheinbar harmlose und wünschenswerte Bestimmung wie die Aufhebung der zeitlichen Begrenzung für die Mietzinsreserve — im Falle der RückWirksamkeit — eine radikale Enteignungsmaßnahme wäre.

Wie aber sieht es mit der künftigen Reservenbildung aus? Der Gesetzentwurf des Justizministeriums sieht vor, daß Instandhaltungsarbeiten bis zum 12fachen des Jahresmietzinses noch als wirtschaftlich zu gelten .haben. Die Zinserhöhung erstreckt sich zumeist auf zehn Jahre; das bedeutet Reparaturkosten in Höhe des 120fachen gesetzlichen Jahresmietzinses zuzüglich der Mietzinsreserve. Die fünfjährige Mietzinsreserve machte bei diesem Beispiel bisher in dem rein hypothetischen Fall, daß der Hauptmietzins zur Gänze disponibel war (was schon angesichts der darauf lastenden Steuer gar nicht möglich ist) ganze 4 Prozent des Gesamtaufwandes aus.

Künftig wird die Mietzinsreserve noch geringer sein, weil seit dem 1. Jänner dieses Jahres bekanntlich Mehrwertsteuer vom bisher umsatzsteuerbefreiten Zins gezahlt werden muß, aber nicht auf den Mieter überwälzt werden darf — und zwar nicht nur vom Hauptmietzins, sondern auch von den sogenannten Betriebskosten (die in der Mietzinsrechnung nur einen Durchlaufposten darstellen und meist schon ein Mehrfaches des Hauptmietzinses ausmachen). Da aber die gesamte Mehrwertsteuer aus dem Hauptmietzins beglichen werden muß, ist es bestimmt nicht zu hoch gegriffen, wenn man annimmt, daß aus dem Titel der Umsatzsteuer etwa 20 Prozent der Hauptmietzinsreserve abgehen. Somit macht in unserem Fall die fünfjährige Mietzinsreserve im oben genannten Fall nur noch 3,2 Prozent der Gesamtkosten aus.

Eine 20jährige Mietzinsreserve in dem völlig unwahrscheinlichen Fall, daß 20 Jahre lang keine Aufwendungen zur Erhaltung des Hauses notwendig sind, beliefe sich erst auf 12,8 Prozent der Gesamtsumme; der Hauptmietzins betrüge dann nicht das Zwölffache, sondern „nur“ das 9,4fache. Aber das ist, wie gesagt, ein hypothetischer Fall, der in Wahrheit kaum je eintreten wird.

Außerdem darf man aber nicht vergessen, daß, wenn die Baupreise künftig auch nur annähernd so stark wie bisher steigen, in 20 Jahren die gleiche Reparatur mindestens schon das Fünffache kosten wird; dann aber schrumpft die 20jährige Mietzinsreserve auf 2,5 Prozent des Gesamtaufwandes.

Die Mietzinsreserve ist also keine Goldgrube. Die Streichung des Zeitlimits für deren Disponibilität wird die Belastung des Mieters — oder, im Falle einer Subvention der Reparaturkosten, des Steuerzahlers — nur um homöopathische Dosen erleichtern. Wenn daher solche Maßnahmen groß angekündigt werden, so fragt man sich, ob die Initiatoren solcher Maßnahmen tatsächlich daran glauben oder ob der Mieter ganz bewußt gefoppt wird.

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