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Fortschritt oder Reaktion?

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Daß die nunmehr vorliegenden Entwürfe für ein Wohnbauförde-rungs- und ein Mietrechtsände-rungsgesetz auf lebhaftes Interesse stoßen würden, war nicht anders zu erwarten. Bekanntlich ist für den Wohnungsmarkt in Österreich und vor allem in Wien derzeit charakteristisch, daß durch massiven Einsatz öffentlicher Mittel die Beschaffungskosten einer Neuwohnung unter jene Kosten gedrückt werden konnten, die bei „normaler“, nämlich kredit-marktkonformer, Finanzierung zu entrichten wären. Das Ausmaß der Ersparnisse schwankt freilich je nach Art der beanspruchten Aktion und Rechtsform der Wohnung beträchtlich. Ebenso liegen die laufenden Kosten einer Wohnung vor allem bei den Altwohnungen meist unter, und nur nach Abwicklung eines gesonderten Verfahrens (der berühmt-berüchtigte 1 Mietengesetz) auf der zur bloßen Erhaltung erforderlichen Höhe, und sind jedenfalls von der zur Anpassung an die steigenden Qualitätsansprüche, oder gar zur Erzielung einer Rendite für den Hauseigentümer erforderlichen Höhe weit entfernt. All dies wird als gewichtige soziale Errungenschaft bezeichnet, und die Frage ist wohl nicht so einfach zu beantworten, ob damit tatsächlich einem dringenden Bedürfnis und einer vorhandenen politischen Ansprechbarkeit der Mieter Rechnung getragen wurde oder ob nicht vielmehr eingespielte Verhaltensweisen aus einer Zeit konserviert wurden, in welcher der Hauseigentümer tatsächlich den Prototyp des Ausbeuters und Klassenfeindes dargestellt haben mag.

Der Entwurf des Wohnbauförde-rungsgesetzes sieht im wesentlichen nur vor, die Mittel bisher verstreuter Aktionen — Wohnhauswiederaufbaufonds, Bundes-, Wohn- und Sied-lungsfonds, Wohnbauförderungs-gesetz 1954 — zusammenzufassen und auf die Länder aufzuteilen, die sie für die Gewährung von Darlehen ebenso aber auch im Sinn einer echten Subjektförderung für Annuitätenzuschüsse verwenden können. Die aius diesen Mitteln gespeisten Darlehen dürfen sich auf höchstens 60 Prozent der Gesamtbaukosten belaufen, 30 Prozent sind über den Kapitalmarkt, 10 Prozent aus Eigenmitteln aufzubringen. Auch der Entwurf des Mietenreohtsänderungs-gesetzes bringt keine wesentlichen Neuerungen. Wichtigste Punkte sind die Zulässigkeit von freien Vereinbarungen über die Höhe des Mietzinses bei Neuvermietungen die Möglichkeit des Abschlusses eines Mietvertrages auf bestimmte Zeit (bis zu fünf Jahren), ohne daß die Kündi-gungsscbutzbestimmungen des Mietengesetzes wirksam werden, und Zur Beckmann-Ausstellung Versuche zur Bekämpfung des Un-terinietenwuchers.

Beide Entwürfe bringen also keine nennenswerten Verschiebungen im bisherigen Stellungskrieg zwischen Hauseigentümer und Mieter. Über die Freigabe der Mietzinse für Neuvermietungen entsetzt zu sein, ist im Hinblick auf die bisherige Höhe der Ablösen übertrieben. Das Ablöseurawesen ist eine Folge der bisherigen Verzerrung der Marktverhältnisse, so daß eine Korrektur der Zinshöhe gar nicht ohne Einfluß auf die Ablösen bleiben kann.

Der wichtigste Passus ist im Entwurf noch durch eine leere Stelle gekennzeichnet: nämlich der Schlüssel für die Aufteilung der Mittel auf die einzelnen Bundesländer. Die verlautete Absicht aber, für diesen Schlüssel allein oder in Verbindung mit anderen Kriterien die Bevölkerungszahl heranzuziehen, hat in Wien beträchtliche Aufregung hervorgerufen. Nach dem Bevö'lke-rungsschlüssel erhielte nämlich Wien in Zukunft nur 23 anstatt wie bisher 43 Prozent der Wohnbauförderungs-mittel. Die Konsequenzen einer solchen Verteilung für Wien bedürfen keiner Erläuterung und bestehen unabhängig von der Frage, wer nun gerade an der in Wien besonders kritischen Situation schuld sei. In rechtstechnischer Hinsicht ist an den Entwürfen nicht allzuviel auszusetzen.

Wichtiger ist, daß — allerdings unter Zugrundelegung des gegenwärtigen Wohnbauvölumens — auch die Aufbringung von 30 Prozent Fremdenmitteln selbst nach den Berechnungen der Kapitalgeber keine wesentliche Mehrbelastung des Kapitalmarktes verursachen dürfte.

Nur eines werden auch die beiden vorliegenden Entwürfe nicht ändern können: das Bauvolumen insgesamt wird kaum wesentlich erhöht werden, und die Zeit, bis zu welcher auch nur für einen nennenswerten Teil der vorhandenen Mietwohnungen marktkoniforme Mieten bezahlt werden, ist kaum abzusehen.

An diesem Punkt beginnen aber die Argumente sich einer sachlichen Prüfung zu entziehen. Ob der Unterhalt einer Wohnung eine von der Allgemeinheit zu erbringende soziale Leistung ist oder ob der Wohnungsinhaber selbst damit belastet werden soll, ist eine Prinzipienfrage, bei deren Beantwortung Vernunftgründe zwar mitsprechen sollten, aber wohl kaum das letzte Wort haben werden. Eine andere Frage ist es, ob eine Reform, die lediglich bessere Übersicht in das System der Wohnbauförderung, erhöhte Möglichkeiten der Suibjektförderung und größere Vertragsfreiheit bei Mietwohnungen bringt, als große Wohnungsreform bezeichnet werden soll oder nicht. Aber eines dürfte wohl kaum zu bestreiten sein, und die Vorgeschichte der gegenwärtigen Entwürfe hat dies deutlich genug gezeigt: Solange jede wirkliche Änderung der gegenwärtigen Situation politisch bis zum letzten ausgenützt würde, wäre eine Reform an Haupt und Gliedern ein politisches Harakiri In Österreich dürfte eine solche Reform wohl nur im Einvernehmen beider Parteien möglich sein. Vielleicht sind beide Seiten schuld daran, daß es nicht zu einer solchen Einigung gekommen ist. Aber in der gegenwärtigen politischen Situation wesentlich mehr zu verlangen, als in den beiden Entwürfen enthalten ist, wäre, so beklagenswert diese Versäumnisse auch immer sein mögen, nicht realistisch.

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