6848708-1976_36_04.jpg
Digital In Arbeit

Bürokratius als Bauexperte

Werbung
Werbung
Werbung

Die Staats- und Gesellschaftskrise, in die wir allmählich hineinschlittern, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß wir immer häufiger an das Ende von selbstangelegten Sackgassen geraten. Das Postulat, der Staat müsse immer mehr Agenden übernehmen, hat uns enorme, kaum mehr finanzierbare Budgetdefizite bei Bund und Gebietskörperschaften gebracht, ließ den Verwaltungsapparat lawinenartig anwachsen und führt jede Verwaltungsreform ad absurdum. Vielen Aufgabengebieten ist ein Automatismus eingebaut, welcher für deren permanentes Anwachsen sorgt.

Klassisches Beispiel für einen solchen bürokratischen Automatismus stellt der viel gelästerte § 7 des Mietengesetzes dar. Nachdem der einer Notverordnung des Ersten Weltkrieges entstammende Mietenstopp verewigt worden war, reichten in den zwanziger Jahren die Zinseinnahmen häufig nicht mehr für die laufenden Reparaturen. Die Hausbesitzer wur»-den daher verpflichtet, den nicht für die Hausinstandhaltung verwendeten Mietzins der letzten fünf Jahre zur Verfügung zu stellen unid Hypotheken für den Zins der kommenden zehn Jahre aufzunehmen, um auf diese Weise die erforderlichen Reparaturen zu finanzieren.

Wenn aber auch der Zins von 15 Jahren nicht mehr ausreicht, kann auf Grund einer Magistratsentscheidung und, wo dies — wie in kleineren Gemeinden — nicht möglich, durch Gerichtsbeschluß eine Erhöhung der gesetzlichen Mietzinse verfügt werden. Da es dagegen noch diverse Berufungsmöglichkeiten gibt, können sich die Verfahren jahrelang hinziehen.

In der Ersten Republik waren die Fälle, in denen der Zins von 15 Jahren nicht ausreichte, selbst bei Generalreparaturen nicht sehr zahlreich und nur ein geringer Prozentsatz der Miete war betroffen. Auch machten die Erhöhungen kaum über fünf bis zehn Prozent des Hauptmietzinses aus.

In der Nachkriegszeit mit ihrer permanenten Inflation änderte sich die Situation rasch. In den sechziger und erst recht in den siebziger Jahren schwollen die Paragraph-7-Ver-fahren zü einer Lawine an, wobei es schließlich bereits zu Mietzinserhö-

hungen bis auf das Secbzehnfache (1600 Prozent!) kam. Dies, obwohl die ÖVP-Mietenreform von 1968 eine gewisse Erleichterung brachte, da nun die Hälfte der frei vereinbarten Zinse bei Neuvermietungen dem Reparaturfonds zufließen müssen. Hingegen ist die Auswirkung der sozialistischen Mietenreform von 1974, welche die Bereitstellung der Mietzinsreserve auf sieben Jahre verfügte, ziemlich wirkungslos, da der gesetzliche Jahresmietzins angesichts der enormen Teuerung ziemlich bedeutungslos geworden ist.

War noch in den fünfziger Jahren eine Generalreparatur mit der Verdoppelung bis Verdreifachung des gesetzlichen Zinses möglich, reicht der Zins von 17 Jahren heute kaum aus, um das Stiegenlhaus einmal ausmalen zu lassen.

Der Zorn der Mieter ist verständlich. Er entlädt sich naturgemäß auf die Hausbesitzer, obwohl diese — was immer man ihnen sonst vorwerfen kann — an der enormen Steigerung der Bau-, vor allem aber der Reparaturkosten, die der übrigen Preisentwicklung weit vorauseilen, keinerlei Schuld haben. Daß aber die Instandhaltung in irgendeiner Form aus den Erträgnissen eines Mietobjekts gedeckt werden muß, hat inzwischen sogar die Gemeinde Wien erkannt; auch die Instandihailtung der Gemeindewahnungen muß so finanziert werden.

Mag man argumentieren, was es schon bedeute, wenn die noch immer auf dem Niveau von 1914 (!) eingefrorenen Mieten bis auf das Sechzehnfache erhöht werden (und dies schließlich nur für begrenzte Zeit), wenn beispielsweise der Preis eines

Straßenbahnfahrscheines in Wien seit 1945 auf das 40fache gestiegen ist. Was den Mieter zermürbt, ist die Unsicherheit, das konstante Hasardspiel, die Unvorhersehbarkeit einer abrupten und sehr massiven Erhöhung. Ein höherer Zins, welcher nach Maßgabe der Mlationsrate und in voraussehbarer Weise permanent ansteigt, sich also im Haiushaltsfoud-get langfristig einplanen läßt, wäre für die meisten erträglicher als die jetzigen überfallsartigen Erhöhungen.

Die „Unfunktionierung“ des § 7-vom Ausnahme- zum Regelfall bedeutet aber auch für Gemeinden und Gerichte eine enorme Belastung. Da die Gemeinden wagen jeder Bagatelle auf Notwendigkeit und Preisan-gemessenheit zu befinden haben, werden oft nur oberflächlich angelernte Beamte als „unfehlbare Bau-

experten“ losgelassen. Der Arbeitsanfall führt zu jahrelangen Verschleppungen, in der Zwischenzeit steigen die Preise weiter, so daß dann oft ein eingeschränktes Reparaturprogramm wesentlich mehr kostet als der ursprüngliche Kostenvoranschlag vorsah.

Die Mietenreform hat daher vor allem die Aufgabe, Gemeinden und Gerichte von den zahllosen Bagatellfällen zu entlasten. Aber die Generalsanierung des längst baufälligen Mietenrechtes ist überfällig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung