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Diktat der leeren Kassen

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„Das österreichische Mietrecht befindet sich seit langem in einem höchst unibefriedigenden Zustand. Die Bindung der gesetzlichen Mietzinse an die Friedenskronenzinse von 1914 hat zu längst lächerlichen Mietbeträgen geführt, so daß die Erhaltung von Althäusern nur noch auf dem für die Mieter stark belastenden Weg des Paragraph-7-Ver-fahrens möglich ist. Die von der ÖVP-Regierung 1968 eingeführte Liberalisierung der Neuvermietungen hat zudem soziale Disparitäten geschaffen, da von einer dringend eine Wohnung suchenden Arbeiterfamilie nun für eine einfache Standardiwohnung ein paar tausend Schilling Zins verlangt werden können, während Hofratswitwen um ein paar Hunderter in Luxuswohnungen logieren.“

Die Presseaussendung einer Hausbesitzervereinigung? Weit gefehlt! Der Leitartikel der „Arbeiter-Zeitung“ vom 25. Mai 1976.

Nun wäre es naiv, zu glauben, die SPÖ habe aiuf einmal ihr Herz für die Hausbesitzer entdeckt und „packle“ mit ihnen. Derartiges ist weder von ihr noch von anderen Parteien anzunehmen. Wenn sie sich auf einmal für die bisher vehement abgelehnte Erhöhung der Stoppmieten einsetzt, so muß dies gravierende Gründe haben.

Darüber hinaus können wir sicher sein, daß die „Hausherren“ zum Ausgleich auf einer anderen Seite nur um so fester in den Clinch genommen werden sollen. Tatsächlich ist auch eine Reihe neuer dirigistischer Maßnahmen geplant. Ob diese wirklich im wohlverstandenen Interesse der Mieter liegen, wird noch zu untersuchen sein.

Vordergründig wird das spontane Eintreten der SPÖ für die Mietzinserhöhung sozial motiviert: Es müßten die Disparitäten beseitigt werden, welche durch die ÖVP-Refonm entstanden seien. Mit anderen Worten: Die bisher gestoppten Mieten sollen zwar hinaufgesetzt werden, dafür aber soll die freie Mietzinsbildung bei Neuvermietung wieder abgeschafft werden.

Nun ist es zweifellos richtig, daß durch das Mietrechtsänderungsge-setz 1968 zweierlei Mieter entstanden sind: Neumieter, welche eine Marktmiete zahlen müssen, und Altmieter, welche für ein gleichwertiges Mietobjekt eine bei weitem niedrigere Stoppmiete genießen. Darüber hinaus —'und dies ist zweifellos ein besonderer Schönheitsfehler dieses Gesetzes — werden die Neumieter noch gezwungen, den Altmietern ihre niedrigen Mieten mitzufinanzie-ren: Die Hälfte der höheren Neumieten muß nämlich vom Hausbesitzer für Reparaturen und eventuell für Verbesserungsarbeiten im gesamten Haus zur Verfügung gestellt werden — auch dann, wenn der Neumieter selbst keinen Nutzen davon hat Je hoher daher die Neumieten sind, desto geringer-wird die Gefahr einer Zinserhöhung im Rahmen eines Paragraph-7-Ver-fahrens für die Altmieter.

Nur darf man dabei zweierlei nicht vergessen: Zum einen war es ja der obstinate sozialistische Widerstand gegen die Mietenerhöhung, der die ÖVP zu jener Notlösung zwang, welche ihnen heute wieder von den Sozialisten vorgeworfen wird. Er hat die Völkspartei an genau jener Mietenreform gehindert, welche die SPÖ nun selbst durchzuführen wünscht.

Zum anderen wurden die „sozialen Disparitäten“ nicht erst durch die ÖVP-Mietenreform geschaffen, sie wurden durch sie nur „transparenter“. Die wahren Nutznießer des totalen Mieterschutzes sind seit eh und je die Wohlhabenden, welche seit Generationen eine mietengestoppte Luxuswohnung besitzen, denen jener Komfort, welchen sich , die Menschen bescheidenerer Herkunft erst mühsam und mit viel Geld erwerben müssen, in den Schoß fiel und von ihnen nahezu umsonst genossen werden kann. Dazu kamen noch jene, welche sich — gelegentlich unter etwas dubiosen Umständen — in den Jahren 1938 oder 1945 einer Luxuswohnung bemächtigten und so die gleichen Vorteile genießen. Die sozialen Motive, welche heute die SPÖ geltend macht, trafen im großen und ganzen auch bereits vor 30 und mehr Jahren gleichfalls zu.

Die wahren Gründe für den Gesinnungswandel sind anderswo zu suchen. Da ist zunächst das Faktum, daß nicht alle „Hausherren“ den Sozialisten gleichermaßen unsympathisch sind, daß ihnen gerade die größten Hausherren Österreichs >— beispielsweise die Gemeinde Wien

— sehr nahestehen. Gerade diese stöhnen unter den Defiziten, welche durch die für den Instandhaltungs-aufwand längst nicht mehr kostendeckenden Mieten — speziell in älteren Sozialwohnhäusern — entstehen. Sie haben sich daher in den letzten Jahren entschlossen, ihrerseits den bisher verpönten Paragraph 7 in Anspruch zu nehmen.

Aber Paragraph-7-Verfahren sind langwierig und umständlich und darüber hinaus auch noch unpopulär. Solange sie die privaten Hausherren unbeliebt machten, waren sie gerade recht. Da sie aber nun das „Image“ der Kommunalpolitiker ankratzen, sind sie peinlich.

Die triste Finanzsituation der meisten Gemeinden gestattet es aber nicht mehr, die Defizite bei der Instandhaltung von Sozialwöhnhäu-sem weiterhin unbeschränkt aus Steuermitteln zu berichtigen. Man Ist daher offenbar übereingekommen, daß sich eine generelle Mietenreform politisch besser „verkraften“ läßt als die punktuelle im Paragraph-7-Verfahren. Es ist also das Diktat der leeren Kassen, welches den Gesinnungswandel bewirkt.

Darüber hinaus ersticken Magistrate und Gerichte bereits in den anhängigen Paragraph-7-Verfabren. Waren diese in früheren Dekaden nur in ganz seltenen Fällen bei Generalreparaturen notwendig, hat die Inflation dazu geführt, daß — können nicht erhöhte Neumieten zur Finanzierung herangezogen werden

— häufig schon das Ausmalen des Stiegenhauses das 17jährige Zins-aufkommen, welches der Hausbesitzer zur Verfügung stellen muß, übersteigt. Schon aus rein administrativen Gründen muß daher etwas geschehen.

Des weiteren wartet bereits ein lachender Dritter, -welcher von der Mietenrefonm zu profitieren hofft: der FinanaministeK • Höhere - Mieten bedeuten höhere Umsatz- und Einkommensteuern, höhere Einheitswerte und daher auch höhere Vermögens- und Grundsteuern. Es ist nur zu hoffen, daß die ganze Mietenreform durch allzukräftige Besteuerung nicht wieder ausgehöhlt wird und auf diese Weise ihrem eigentlichen Zweck, nämlich der Sanierung der Althäuser, erst wieder entfremdet wird.

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