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Die Philosophen aus dem Mittelfeld

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Als ich vor einigen Tagen auf dem Weg nach Salzburg im tiefen Frieden der 1. Klasse des Blauen Enzian die Berichte dreier Zeitungen über die Niederlage einer Wiener Fußballmannschaft namens Rapid gegen eine russische Lokomotive namens Dynamo Kiew las, verging mir die Zeit im Express natürlich rapide und wie im Flug. Mit großem Erstaunen sah ich aber, daß in keinem der

Berichte etwa von den Füßen oder den Beinen die Rede war, die bei einem Fußballspiel sicher auch eine gewisse Rolle spielen, sondern fast ausschließlich von Phänomenen der geistigen Welt.

In einer jener Untersuchungen wurde der Urgrund jener Katastrophe so benannt: Aus dem Mittelfeld kommen keine Ideen und vorne fehlt uns der Vollstrecker. Jener bekannte österreichische Philosoph, der bis vor kurzem jene Ideen aus dem Mittelfeld verwertet und verarbeitet hat, wurde als Hans Krankl nominiert, er sei der geistige Kopf der Truppe gewesen, der, aufbauend auf den Vorarbeiten seiner Kollegen, die Gedanken zu Ende gedacht habe.

Daß der Grund jenes „nationalen Desasters“ keineswegs im Athletischen lag, sondern im höheren geistigen und philosophischen Bereich, wurde selbst vom Kapitän Heribert Weber zugegeben: es habe diesmal nach der Pause geistig etwas nicht gestimmt. Und der Trainer bestätigte diese Analyse, als er seinerseits in einem Interview erklärte, seine Leute hätten trotz klarer Weisung und Warnung nach der Pause den Kopf verloren.

So hieß es denn auch übereinstimmend in allen Zeitungen, daß es diesmal am vielgerühmten Rapidgeist (einmal: dem wahrenRa-pid-Geist) gefehlt habe und daß darum die oft beschworene Philosophie Rapids nicht aufgegangen sei.

In einer Zeitung wird freilich auch dem jetzigen Inhaber des Lehrstuhls, dem Mann auf der Trainer bank, die Schuld gegeben, er wird mit seinem Vorgänger, einem gewissen Otto Maximal, offenbar einem Vertreter der idealistischen Richtung und des philosophischen Optimismus, verglichen — und schneidet bei diesem Vergleich wegen seines schon vor der Begegnung mit den Russen auf jenem Kongreß zutage getretenen Pessimismus sehr schlecht ab.

Er habe es nicht verstanden, seine Männer zu begeistern und zu beflügeln. Die Mentalität des Otto Maximal habe besser zur Rapid-Philosophie des bedingungslosen Angriffs gepaßt. Der jetzige Trainer sei, hieß es, ein Skeptiker, sein Vorgänger aber sei einer gewesen, der es verstand, das Unmögliche möglich zu machen.

Ganz offenbar steht hier auch ein Skeptiker (omnia sunt dubi-tanda) gegen einen Metaphysiker, also einen, der meta Physik, jenseits und über die „physis“ und die „Natur“ seiner Spieler hinaus eben das „Unmögliche“ aus ihnen herausholte, sie auf diese Weise „entwirklichte“ und die letzten Reserven an Ideen und Geist nicht nur bei den Vertretern des Mittelfeldes mobilisierte. Doch dieser große Geistesmensch und „Vergeistiger“ war nun offenbar wegberuf en worden—an die Universität Stuttgart —, und sein Nachfolger auf dem Wiener Lehrstuhl war den Kritikern seiner praktischen und theoretischen Vernunft alles andere als ein Otto Maximal, sondern ganz im Gegenteil ein philosophischer Otto Normalverbraucher.

Ich sah mir natürlich auch die Analysen des philosophischen Gegners, der „russischen Lokomotive“ an. Eine Mannschaft kann nur so gut sein, hieß es, wie es der Gegner zuläßt. Da waren die Wiener Schnelldenker von Rapid offenbar auf eine Horde wildentschlossener Materialisten und Rationalisten gestoßen, die keinen Respekt vor der ethisch und vor allem ästhetisch eleganten und schlanken Denkungsart der Wiener Schule hatte.

In einem Bericht war übrigens nicht von der Lokomotive, sondern von der russischen Dampfwalze die Rede. Der Sinn, der tiefere Sinn dieser uneigentlichen Ausdrucksweise, ohne die keine Philosophie auskommt, war freilich klar, sie zielte auf das Vergröbernde, Generalisierende und die feine Unterschiede einebnende Denkweise der Russen aus Kiew. Das Spiel der Russen sei ohne Schnörkel und vor allem in der zweiten Hälfte bedingungslos rational und auf den Erfolg gerichtet gewesen.

Rapid Wien aber kämpfte auch um seine Identität „als der Gleichheit der Qualität in der Zeit“: Sicher ist, daß Rapid nicht mehr jene Rapid-Elf ist, die im Vorjahr gegen Dynamo Dresden wie gegen Dynamo Moskau noch Spiele umgedreht hat. Die Niederlage und Unterlegenheit der Wiener resultierte ganz augenscheinlich aus der dynamischen Vorgangsweise des Kiewer Dynamos. Im Dynamismus also lag das Geheimnis von Sieg und Niederlage!

Ich konsultierte darum nach meiner Salzburger Reise mein „Philosophisches Wörterbuch“ und fand dort unter „Dynamismus“, dies sei eine Philosophie, die anders als die Naturphilosophie kein ruhendes Sein kennt, sondern alles aus Kraft und Tätigkeit erklärt. „Dynamismus“ wird als Form und Eigenschaft verstanden, die ihrem Träger nicht nur ein ruhendes Sein zuweisen, sondern ihm auch „die Kraft und Hinordnung auf ein zu erreichendes Ziel und damit Streben und Tätigkeit verleihen“. Das innerste Geheimnis des Dynamismus ist Finalttä't: Tor Tor Tor!

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