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Die umstrittene Vergangenheit

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Der Prozeß soll eine Reihe von Fragen klären helfen, vor allem was das Ustasa-KZ Jasenovac betrifft. Über die Zahl der Opfer gehen die Meinungen der Fachleute auseinander.

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Der Prozeß soll eine Reihe von Fragen klären helfen, vor allem was das Ustasa-KZ Jasenovac betrifft. Über die Zahl der Opfer gehen die Meinungen der Fachleute auseinander.

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Am 12. Februar wurde der 87jährige ehemalige Innenminister des mit Hitler kollaborierenden „Unabhängigen Staates Kroatien“ Dr. Andrija Artukovic aus seinem kalifornischen Exil an die jugoslawischen Behörden in Zagreb ausgeliefert. Bereits 1951 hatten sich die Jugoslawen um die Auslieferung Artukovics bemüht, jedoch ohne Erfolg, da die US-Justizorgane eine Auslieferung mit der Begründung verweigerten, der Angeklagte könne in einem „kommunistischen Land keinen fairen Prozeß“ erwarten.

Daß Artukovic nun doch ausgeliefert werden konnte, ist auf ein 1978 verabschiedetes Gesetz zurückzuführen, das besagt, daß eine Auslieferung zulässig sei, wenn Kriegsverbrechen vorliegen.

Jetzt begann vor dem Kreisgericht in Zagreb der Prozeß gegen den inzwischen schon halbblinden und gehbehinderten Ex-Minister. Daß man heute selbst in der kroatischen KP über die Auslieferung geteilter Meinung ist, zeigt die offizielle Einladung an Artukovics Sohn Radoslav, die kroatische Hauptstadt zu besuchen. Viele stellen sich auch die Frage, ob der Prozeß gegen einen gebrechlichen Greis überhaupt noch sinnvoll sei.

Auf der anderen Seite verlangen einige KP-Funktionäre eine drakonische Bestrafung: Der kroatische Altkommunist Jakov Blazevic meinte sogar in einem Gespräch mit der in Split erscheinenden Zeitung „Slobodna Dal-macija“, die USA hätten absichtlich Artukovic zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgeliefert, weil sich das Land in einer Krise befinde.

Blazevic wörtlich: Artukovic sei nach Zagreb überstellt worden, damit sich um ihn die „Konterrevolution“ sammle. Doch der Ex-Innenminister des Ustasa-Staates kann selbst in den Reihen der politischen Opposition kaum mit Sympathien rechnen.

Das Regime hat jedenfalls die Absicht, in einem Monsterprozeß die Vergangenheit neu aufzurollen. Von Amts wegen wurden Artukovic zwei Pflichtverteidiger beigestellt - die beiden Zagreber Rechtsanwälte Kresimir Abel und Mario Kos. Artukovics Sohn Radoslav verpflichtete noch weitere drei Anwälte: Silvije Degen, Zeljko Olujic und Srdja Popovic. Der Belgrader Rechtsanwalt Srdja Popovic hat auch den kroatischen Dissidenten Marko Veselica verteidigt.

Der Zagreber Anwalt Silvije Degen, selbst KP-Mitglied, erklärte gegenüber der Zeitschrift „Duga“: „Mich interessiert in erster Linie, ob der Angeklagte angesichts seiner schweren Krankheit überhaupt prozeßfähig ist.“

Laut der Zagreber Tageszeitung „Vjesnik“ besteht die Anklageschrift gegen Artukovic aus vier Punkten: Namentlich ist nur ein einziges Opfer bekannt, nämlich der aus Srijemska Mitrovica stammende Rechtsanwalt Jasa Vidic, dessen Liquidierung Andrija Artukovic persönlich angeordnet haben soll. Ferner wird Artukovic eine Massenerschießung bei Vrginmost angelastet, die Liquidierung von 400 bis 500 Menschen im Lager Kerestinec sowie die Erschießung einer Gruppe gefangener Partisanen auf einer Wiese unweit der Stadt Samobor.

Doch vorerst noch zurück zur Person des Angeklagten. Im Jänner 1929 entstand als Reaktion auf die Ermordung des kroatischen Bauernführers Stjepan Radic die Ustasa-Untergrundorganisation, die auf eine Lostrennung Kroatiens aus dem jugoslawischen Staatsverband hinarbeitete. Der in Gospic (Lika) tätige junge Rechtsanwalt Artukovic wurde bald deren Mitglied und organisierte die ersten Ustasa-Geheimzellen in Kroatien.

1934 wurde Artukovic, inzwischen nach Frankreich emigriert, im Zusammenhang mit der Ermordung des Königs Alexander in Marseille zum ersten Mal an die jugoslawischen Behörden ausgeliefert, von denen jedoch überraschenderweise wieder freigesprochen. Eine Konzession des damaligen faschistoiden Ministerpräsidenten Milan Stojadonovic an die Ustasa-Schutzmacht Italien?

Wie dem auch sei, am 10. April 1941, am Tag der Proklamation des Unabhängigen Staates Kroatien, wurde jedenfalls Andrija Artukovic überraschend zum Innenminister ernannt. Im selben Jahr entstand auch das Konzentrationslager Jasenovac, dessen Errichtung dem Ex-Innenminister persönlich angelastet wird.

Daß Artukovic Kriegsverbrechen begangen hat, darüber besteht kein Zweifel.

Der Prozeß soll jedoch eine Reihe offener Fragen klären helfen. In Belgrad behauptet man, in Jasenovac seien nur Serben liquidiert worden, wodurch das Verhältnis zwischen Serben und Kroaten erheblich belastet wird. In Wirklichkeit gab es eine Reihe prominenter Kroaten unter den Ustasa-Opfern.

Umstritten ist auch die Zahl der Jasenovac-Opfer. Noch im Prozeß gegen Kardinal Alojzije Ste-pinac 1946 wurde in Zagreb die Zahl von 50.000 Jasenovac-Opfer genannt. Der Historiker und Dissident Franjo Tudjman nennt dieselbe Zahl. Offiziell wird nun, offenbar aus Propagandagründen, die Zahl von 700.000 Jasenovac-Opfern zitiert, dieselbe Zahl befindet sich auch in den gegenwärtigen jugoslawischen Schulbüchern.

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