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Konkurs des Zentralismus

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Auf diese kritische Lage hat mit besonderem Nachdruck der Generalsekretär der KP Kroatiens, Dr. Vladimir Bakaric, am 17. September d. J. auf der Konferenz der Zagreber Kommunisten hingewiesen. Die Schuld, daß die Industrie kein Selbstvertrauen hat, daß die Fabriken kein Geld haben, um den

Betrieb durch neue Maschinen zu rationalisieren, daß an vielen Arbeitsstätten die Arbeitsmethoden auf dem Niveau des 19. Jahrhunderts stehengeblieben sind, schiebt man nun auf das „veraltete Nachkriegssystem”, das heißt, die un qualifizierte Wirtschaftsführung durch die Direktoren und Wirtschaftsbonzen, die anscheinend nicht imstande sind, sich als Führungskader in den „neuen Strömungen” in der Wirtschaft zurechtzufinden. In Zagreb beispielsweise haben noch immer 40 Prozent aller Generaldirektoren nur niedere Schulbil dung. Alles das, was Dr. Bakaric vor den Zagreber Kommunisten gesagt hat, bestätigt, daß die Wirtschaftspolitik in Jugoslawien seit dem zweiten Weltkrieg Bankrott gemacht hat.

Wenn die ungerechtfertigten Ein griffe der zentralen Verwaltung nicht aufhören, wenn nicht bald eine gründliche Dezentralisation eintritt und wenn sich die sozialistische Selbstverwaltung nicht ebenfalls auf einer breiten Basis realisiert, dann bedeutet das — nach Dr. Bakaric — das Ende des Sozialismus in Jugoslawien.

Die „Idee” bröckelt ab

Der Kampf für Dezentralisation und sozialistische Selbstverwaltung schwächt aber anderseits die Position der Belgrader Zentralregierung. Denn dadurch werden die einzelnen Republiken, besonders Kroatien, aufgewertet. Deshalb wird das Belgrader Regime weiterhin nur halbe Zugeständnisse machen. Mit anderen Worten: Die Regierung wird jenen Kräften in der Partei “den Vorzug geben, die geistig näher dem Zentrum stehen. Doch das Mißtrauen diesem Zentrum gegenüber wächst, und der Ruf nach einem Mehrparteiensystem wird immer lauter.

Der Zerfall ist schon so stark, daß in Reden und Studien oft zum Ausdruck kommt, wie unklar selbst führenden Kommunisten ihre Pflicht im Prozeß der Umänderung ist. Man klagt außerdem, daß die meisten Kommunisten nur noch Partei- büchlmitglieder — ohne innere Beteiligung — sind. Ihre Parteizugehörigkeit sei reiner Opportunismus.

Revolte im Salzbergwerk

Die seit 1950 praktizierte sogenannte Arbeiterselbstverwaltung soll eine besondere Form des De- zentralismus sein. Die neue jugoslawische Verfassung vom vergangenen Jahr hat in den Paragraphen 9 und 10 dieser Selbsverwal- tung wirklich große Rechte eingeräumt. So sind dem Arbeiterrat in einem Betrieb die Organisation der Produktion, die Festsetzung des Arbeitsprogrammes, die Verwaltung des gesamten Betriebseinkommens, die Kontrolle des Arbeitsprozesses und die Organisation der Arbeiter zugteilt.

Dieses System der Arbeiterverwaltung sollte die Bürokratie beseitigen, was aber, wie selbst die führenden Kommunisten zugeben, nicht gelungen ist. Das Ganze stellt eigentlich nur ein Aushängeschild des Regimes für das Ausland dar. Die Selbstverwaltung ist meistens nur eine schön umrissene Fassade, wie auch der Sekretär der Zagreber kommunistischen Organisation, Mika Tripalo, in seinem Interview mit der Zeitung „Vjesnik u srijedu” (7. Oktober 1964) offenherzig zugegeben hat. Der Großteil der Arbeiterräte ist wohl bereit, über die gegenwärtigen Löhne zu reden, denkt aber dabei nicht an die Zukunft des Betriebes.

Das beste Beispiel dafür ist das Salzbergwerk in Tuszla (Bosnien), wo der Betrieb nicht vollständig modernisiert werden konnte, weil die Arbeiter dafür „kein Verständnis” hatten. Ihnen wäre eine

Lohnerhöhung lieber gewesen. Sie protestierten heftig gegen die technischen „Fachleute”, die ihnen die „neue Technologie” beibringen sollten. Das hochqualifizierte technische Personal aus Zagreb hat unter diesen unguten Verhältnissen bald den Betrieb verlassen. Die Arbeiter und ihre Vertreter in der Selbstverwaltung hätten für diese Fachleute bestimmt mehr Verständnis bekundet, wenn sie die Früchte der gesteigerten Produktion gleich direkt in ihren Löhnen zu spüren bekommen hätten. Die Arbeiter waren natürlich empört, daß zum Beispiel einer der „Köpfe” des neuen technologischen Prozesses 4,5 Millionen Dinar bekam. Dieses Beispiel zeigt gleichzeitig die Zwei- schneidigkeit und die ganze Problematik der Arbeiterselbstverwaltung. (Zagreber Zeitung „Vjesnik u sri- jedu”, 23. September 1964.)

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