Brauchen wir ein „Scharia-Verbot"?

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Das von der ÖVP zuletzt geforderte „Scharia-Verbot“ wirft viele Fragen auf. Wie ist dieser Vorstoß zu deuten? Bestehen tatsächlich Gesetzeslücken? Und was wären die Folgen? Ein Gastkommentar.

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Das von der ÖVP zuletzt geforderte „Scharia-Verbot“ wirft viele Fragen auf. Wie ist dieser Vorstoß zu deuten? Bestehen tatsächlich Gesetzeslücken? Und was wären die Folgen? Ein Gastkommentar.

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Kürzlich ist auf dem Bundesparteitag der Österreichischen Volkspartei – genau genommen „Die neue Volkspartei“ – eine drastisch anmutende Forderung erhoben worden: „ein Scharia-Verbot schaffen, um gegen eine religiöse Gesellschafts- und Staatsordnung vorzugehen“. Flankiert wurde dies mit den Anliegen nach aktiver Verhinderung der Bildung von Parallelgesellschaften und Eindämmung demokratiefeindlicher Ideologien. Der Antrag wurde auf schnellem Weg abgesegnet.

Nun ist ein Parteitag kein wissenschaftlicher Kongress. Die mangelnde Bestimmtheit der genannten Forderung ist zunächst nicht verwunderlich. Doch lässt die Formulierung viele Fragen offen. Der Begriff „Scharia“ ist mehrdeutig und bezeichnet im Wesentlichen das islamische Recht im Sinn einer religiös bezogenen Rechtsordnung. Es ist somit nicht von einem Gesetzbuch im herkömmlichen Sinn die Rede. Die Scharia betrifft insbesondere Bereiche wie Gebete und Fasten, Almosengabe, Speiseverbote, Vertrags-, Familien- und Erbrecht. Die rechtsverbindlichen Festlegungen werden vor allem aus dem Koran und aus den so genannten Hadithen bezogen. Bei letzteren handelt es sich um Worte zu Religion und Lebenspraxis, die dem Propheten Mohammed zugeschrieben werden. Im Kontext der Scharia spielen auch Rechtsbräuche eine Rolle, wobei radikale Strömungen die so genannten „Ehrenmorde“ als solche einstufen. Dies entspricht keineswegs den herrschenden islamischen Rechtsauffassungen. Bei einem Ehrenmord handelt es sich um die Ermordung einer Person durch ein Mitglied aus deren Familie, wobei das Opfer des Verstoßes etwa religiöser Verhaltensregeln bezichtigt wird. In diesem Zusammenhang wird wiederholt von der Ermordung einer des Ehebruchs bezichtigten Frau durch den eigenen Bruder berichtet.

Status quo am Beispiel Vielehe

„Ehrenmorde“ sind nach österreichischem Recht strafbar. Doch wie sieht es mit Berührungspunkten zwischen Scharia und privatrechtlichen Bereichen aus? Für das staatliche Vertrags-, Erb- und Familienrecht sind die Grundsätze des so genannten „Internationalen Privatrechts“ zu beachten: Österreichische Richterinnen und Richter haben unter bestimmten Voraussetzungen ausländisches Recht anzuwenden. Dies kann sich etwa dann ergeben, wenn ein sich in Österreich aufhaltendes Ehepaar, das in einem anderen Staat eine Ehe geschlossen hat, die Ehescheidung anstrebt. Wenn der betreffende Staat in diesem Bereich die Anwendung der Scharia vorsieht, kann es zur Anwendung von Scharia-Recht in Österreich kommen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass eine ausländische Vorschrift nicht anzuwenden ist, wenn sie zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) unvereinbar ist. Wenn erforderlich, hat österreichisches Recht zum Tragen zu kommen.

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