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Seelsorge im Widerstand

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Die religiöse Entwicklung in Österreich seit dem Frühjahr 1945 kann nicht durchweg als erfreulich bezeichnet werden. Der mannigfach belastete Zwischenzustand, in dem wir seither leben, ist auch moralpsychö- logisch und seelsorglich zermürbend und verbraucht unverhältnismäßig viel Kraft. Alles missionarische Bemühen um die innere Rückführung der zahlreichen Kirchenaustritte, um eine breitere Erfassung der Jugend, um die Verchristlichung der sö plötzlich säkularisierten Zivilehe, um eine wirksame Verkündigung katholischer Sozialethik usw., hat noch keinen mitreißenden Schwung erwiesen. Der Kampf um Einzelpositionen des kirchlichen Besitzstandes gerade auch mit einem überdimensionierten Bürokratismus eines Staates, der sich über die Intensität seines Sozialisierungswillens selber noch nicht klar ist, hat manche Kräfte zersplittert und entmutigt. Darüber ist die Gelegenheit, zu bedeutsamen Anlässen weitwirkend ins Gesamtvolk hinein in programmatischer Verkündigung Zeugnis abzulegen, mitunter verpaßt worden. So wundert es uns nicht, daß der Bodengewinn im seelischen Bereich zugunsten der Kirche nicht sehr eindrucksvoll ist.

In diese Stimmung dringen nunmehr neue Fragen und Sorgen ein. Bei aller Festigkeit unserer Zuversicht in die weltpolitische Entwicklung darf der Auseinandersetzungscharakter der nächsten Jahre

Ein Seelsorgebericht aus Österreich 1938 bis 1945“ (Salzburg 1947, Otto Müller. 448 Seiten, 37 Schilling) gerade zur rechten Zeit. Fast möchte man fürchten, daß es zu früh erschien, beziehungsweise zu öffentlich, weil hier ein äußerst eingehender Einblick in die theoretischen Grundlagen und praktische Verwirklichung der Seelsorge „im Widerstand“ für jedermann geboten wird. Aber das Buch kommt aus einer so wesentlichen Schau, daß es über taktische Befürchtungen von selbst hinauswächst. Um so mehr ist es nicht nur wünschenswert, sondern kann es für die österreichische Seelsorge von entscheidender Bedeutung werden, daß sie dieses Buch zur Kenntnis nimmt ünd seine Anregungen, beziehungsweise Er gebnisse verwertet. Das Buch wird um so mehr Verständnis finden, als es, glänzend geschrieben, auch von historischer Zuverlässigkeit ist.

Es geht bei dieser Veröffentlichung um mehr als um eine pastoralgeschichtliche Schilderung oder methodische Anregung. Ihr erstes Anliegen ist wohl dies, darzutun, wie weit der auch gegenüber den Zugriffen moderner Staatstotalität unangreifbare und unzerstörbare Besitzstand kirchlichen Lebens heute noch reicht, wenn er klar gesehen und richtig gewahrt wird. Es soll aber auch deutlich gemacht werden, wie auf diesen Grundlagen ein eigentlicher Aufbau möglich wurde. Mag die Ausgangsbasis auch recht schmal geworden sein, die Seelsorge wird gerade deshalb nicht darauf verzichten können, mehr denn je auf ihre Fortentwicklung und Entfaltung bedacht zu sein. Wirklich liegt in diesem Erweis der schöpferischen Art des „Aufbaus im Widerstand", der eigentliche Gewinn dieses Buches, und es ist sehr zu hoffen, daß den Seelsorgeämtern diese produktive Lebendigkeit — besonders durch eine entsprechende zielbewußte Personalpolitik — auch in den nächsten Bewährungsjahren zu eigen bleibt. Darüber hinaus geht es dem Verfasser offensichtlich aber auch um das Aufzeigen der Möglichkeiten und Gesetzlichkeiten christlicher Selbstentfaltung in einer säkularisierten Umwelt. Seelsorgliche Konzentration darf — gerade heutzutage — keinem neuen Sakristeikatholizismus Vorschub leisten! Wenn auch deutlich wird, wie rasch die äußeren Positionen (Ver- eine usw.) 1938 zusammensanken, so darf deren zeitbedingte und darum hinfällig gewordene Struktur nicht übersehen werden. Dr. Rudolf und seine Mitarbeiter gingen von anderen, tiefer gelagerten Voraussetzungen aus, und es wird nun sehr darauf ankommen, dieselben — zum Beispiel bei den Naturständen, in den kulturpolitischen Aufgabenstellungen und in der theologisdien Diskussion — weiter zu entwickeln. So sind wir zu neuer Arbeit aufgerufen: „Aufbau im Widerstand" —_ wie gestern, so audi heute und morgen!

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