Warum kann Nationalratspräsident Sobotka nicht abgewählt werden?

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Dass Nationalratspräsidenten nicht abberufen werden können, trübt die „Eleganz der Verfassung“. Spätestens nach der nächsten Wahl droht der Katzenjammer. Ein Gastkommentar.

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Dass Nationalratspräsidenten nicht abberufen werden können, trübt die „Eleganz der Verfassung“. Spätestens nach der nächsten Wahl droht der Katzenjammer. Ein Gastkommentar.

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Nach Artikel 30 Absatz 1 Bundes-Verfassungsgesetz hat der Nationalrat aus seiner Mitte einen Präsidenten sowie einen Zweiten und einen Dritten Präsidenten zu wählen. Diese bleiben so lange im Amt, bis ein neu gewählter Nationalrat neuerlich Präsidenten gewählt hat. Irgendeine Form der Abberufung, ja selbst das freiwillige Zurücklegen des Amtes ist nicht vorgesehen. Diese Regelung ist einzigartig und entspricht wohl auch nicht mehr den Ansprüchen an eine moderne Demokratie.

In der protokollarischen Rangordnung Österreichs befindet sich der Nationalratspräsident übrigens an vierter Stelle – nach dem Bundespräsidenten, dem Kardinal und dem Bundeskanzler. Im parlamentarisch-demokratischen Verständnis wird das Amt dennoch traditionell als „zweithöchstes im Staat“ angesehen. Das ist wohl der Tatsache geschuldet, dass die drei Präsidenten des Nationalrates gemäß Artikel 64 Absatz 1 B-VG als Kollegium zur Vertretung des Bundespräsidenten berufen sind, wenn dieser länger als 20 Tage verhindert ist, durch eine Volksabstimmung abgesetzt wurde oder das Amt dauerhaft erledigt ist (Tod, Verzicht, Ablauf der sechsjährigen Amtszeit).

Jenseits der Anlassgesetzgebung

Wenn man nun aber selbst dem Bundespräsidenten – immerhin dem höchsten Amt im Staat – während seiner laufenden Amtszeit das Vertrauen entziehen kann (also quasi die bereits einmal erfolgte Volkswahl rückgängig machen kann), warum soll man das nicht auch bei seinen „Stellvertretern im Notfall“ dürfen? Hier scheint die demokratiepolitische Schönheit unserer Verfassung zu bröckeln – und es wäre wohl längst an der Zeit, die überfälligen Ausbesserungsarbeiten in Angriff zu nehmen.

Hierbei soll es auch nicht um den aktuellen Anlassfall und die hochkochende Diskussion um die Person Wolfgang Sobotka gehen. Auch wenn manche meinen, dass er durch seine eigenwillige Amtsführung die Funktion des Nationalratspräsidenten nachhaltig beschädigt und ihr für immer die politische Unschuld genommen hat. Solche anlassbezogenen Diskussionen hat es immer wieder gegeben, und sie führten bekanntlich zu nichts. Selbst die von der damaligen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer im Mai 2009 (und einem weiteren Versuch im Mai 2012) ventilierte konkrete Änderung der Nationalratsgeschäftsordnung, eine Abwahl mit Zweidrittelmöglichkeit zu ermöglichen, fand keine politische Unterstützung. Anlass für die Prammer-Initiative waren übrigens umstrittene Aussagen des damaligen Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf.

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