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Eine demagogische Großtat.
Rund 4,7 Millionen österreichische Wähler, vertreten durch kaum 50 Journalisten, wollen entschieden haben: Bundeskanzler Bruno Kreis-ky for ever.
Das Wochenmagazin „proftl“ veranstaltete unter einschlägig orientierten Journalisten eine Umfrage über die Idealzusammensetzung der nächsten Bundesregierung. Weit mehr als die Hälfte der befragten Journalisten votierte für Bundeskanzler Kreisky als Regierungschef einer fast ausschließlich mit sozialistischen Funktionären besetzten Konzentrationsregierung; nur vier von 51 Journalisten wollten den Parteiobmann der ÖVP, Karl Schleimer, als Bundeskanzler sehen.
„profil“ schloß daraus messerscharf, daß Bruno Kreisky in einer repräsentativen Umfrage unter Meinungsmachern seinen größten Sieg der letzten Jahre erzielt und Karl Schleimer seine größte Niederlage erlitten habe. Fast alle österreichischen Zeitungen beteten diese Behauptung nach. Das ist kein gutes Zeugnis für das Demokratieverständnis österreichischer Journalisten, wenn sie tatsächlich annehmen, daß sie die berufene Elite-Einheit für die Bestellung der nächsten Bundesregierung seien.
Die Beurteilung österreichischer Spitzenpolitiker in der Tagespresse hängt zumeist von Faktoren ab, die mit ihren Fähigkeiten kaum etwas zu schaffen haben: nämlich von der Qualität ihrer Beziehungen zu den Meinungsmachern. Diese Qualität ist nun wiederum von einer ganz spezifischen Menschenfreundlichkeit bestimmt. Ein Spitzenpolitiker, im Besitz eines Weinkellers und der nötigen Geduld, hat, wenn man so will, Heimvorteile. Lädt er sich regelmäßig Gäste aus Journalistenkreisen ein, versteht er es, in allgemeiner Weinlaune jeden Spaß mitzumachen, der Eitelkeit seiner Gäste zu schmeicheln, sie zu hofleren, dann ist er auf dem besten Weg, als hervorragender Fachmann auf seinem Gebiet beschrieben zu werden. Ja, so einfach geht das.
Das Ergebnis der „profiV'-Umfrage über die Idealzusammensetzung der Bundesregierung nach den nächsten Wahlen gab Zeugnis für das Niveau des auf die innenpolitische Berichterstattung spezialisierten Journalismus in Österreich. Gleichzeitig war dieses Ergebnis ein Beweis für die Solidarität zwischen dem Journalistenkanzler Kreisky und seinen Bewunderern. Wohl noch nie hat ein österreichischer Politiker es so gut verstanden wie Bruno Kreisky, Allgemeinplätze den Journalisten als ewige Weisheiten zu verkaufen. Er macht es den Berichterstattern leicht und das macht wiederum einen Gutteil seines Renommees aus. Nicht der Inhalt von Gesetzesvorlagen dominiert Kreiskys Meldungen und zumeist auch die Berichterstattung in den Zeitungen, sondern die Apercus des\ Bundeskanzlers. Das macht die innenpolitische Berichterstattung in einem Großteil der österreichischen Tagespresse möglicherweise „lustiger“, zugleich aber auch weniger informativ.
In der österreichischen Tagespresse dominiert ein Zug zur Personalisierung von Sachfragen. Grundsätzliche gesellschaftspolitische Fragen wie etwa die Familienrechtsreform werden an der Person jener Ressortchefs, von denen die Gesetzesinitiative ausgeht, abgehandelt. Auf diese Weise erfährt man alles über das Eheleben Christian Brodas und über innerfamiliäre Erziehungsprobleme des Bundeskanzlers; die Berichterstattung über so unwichtige Dinge wie die Finanzierung des Bundeshaushaltes und außenpolitische Fehlgriffe bleiben dagegen auf der Strecke.
Die Meinungsmacher vertreten die Ansicht, daß ihr Publikum genau das und nichts anderes will. Gleichzeitig greifen sie, oft sogar sehr vehement, das Informationsniveau ihres Leserpublikums an. Daß das eine mit dem anderen zu tun hat, wollen sie keineswegs wahrhaben.
Demokratie setzt das Verständnis der Demokraten für Sachfragen voraus; nicht das tiefe Wissen um die Dinge, sondern eine Beziehung zu den Dingen. Je enger die Beziehung ist, desto schwieriger haben es die Demagogen, sich durchzusetzen. In Österreich haben sie es ein wenig leichter, weil sie der Gefolgschaft der Journalisten sicher sein können.
Die Journalisten-Regierungsbildung im „profil“ war eine demagogische Großtat, weil sie den Lesern suggerierte, daß berufene Leute über eine wichtige Frage urteilen. So oder so war das nicht der Fall.
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