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Bruckner und die Fußballer

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Nicht oft genug kann die Stimme gegen das allgemein vorherrschende Desinteresse am politischen Zeitgeschehen, das Nichtvorhandensein eines Minimums an vaterländischem Bewußtsein in weiten Kreisen erhoben werden. Die daraus resultierende Leere bei einem nicht geringen Teil der jüngeren Generation in staatsbürgerlicher Hinsicht, die Standpunktlosigkeit zu Fragen der Zeitgeschichte sind als Alarmzeichen für unsere Demokratie zu werten. Doch die Rufer und Warner sind immer noch dünn gesät; vielfach stehen sie einer Mauer des Schweigens und Desinteresses gegenüber. Auch für einen sehr beträchtlichen Teil der heimischen Presse scheint es Probleme der aufgezeigten Art nicht zu geben.

Was der Chefreporter des Österreichischen Rundfunks, Heinz Fischer- Karwin, mittels seiner Befragung übeT die staatsbürgerliche Bildung beziehungsweise Nichtbildung des Österreichers eine breitere Öffentlichkeit erfahren läßt, bringt für Leute, die aus Berufsgründen mit der Sachlage enger vertraut sind, keinerlei Überraschungen. Ja, für Volksbildner zum Beispiel, die ihre Erfahrungen gewissermaßen in „vorderster Front“ sammeln, ist dies nicht selten Anlaß zu Pessimismus und Resignation.

Kürzlich erklärte ein politischer Mandatar in der Öffentlichkeit, man habe bei den Musterungen für das Bundesheer festgestellt, daß rund 50 Prozent (I) der jungen Österreicher den Namen des Bundespräsidenten, Bundeskanzlers bzw. Landeshauptmannes nicht wissen. Welche Rückschlüsse sich aus solchen Befragungsergebnissen im Hinblick auf die anderen Sparten der staatsbürgerlichen Bildung der österreichischen Jugend ergeben, braucht nicht besonders aufgezeigt zu werden. — Der Politiker stellt die Frage, wie wohl solche Jungösterreicher eine richtige Entscheidung mit dem Stimmzettel ‘‘treffeti kannten,1 felis’ i%irfttW’n,Vfuf1 Biegen oder Brechen?;, ankommen sollte.

Doch wer wagt jene besagten „50 Prozent" Jung Österreicher zu tadeln, wenn sogar ältere Mitbürger mit „Abitur“ ihre Schwierigkeiten haben, die Namen der österreichischen Bundesländer aufzuzählen? — Ein frischgebackener Maturant erklärte durchaus im Ernst, als in irgendeinem Zusammenhang der Name „Anton Bruckner“ fiel: „Bruckner? Für solche Leute habe ich nicht das geringste übrig! Ein guter Fußballer hat wesentlich mehr Verdienste als Leute dieser Sorte!“ — Es wirft ein bezeichnendes Licht darauf, wie man „Bildung“ im allgemeinen zuweilen einschätzt, auch dort, wo man es nicht vermuten würde, wenn zum Beispiel ein höherer politischer Mandatar sichtlich „stolz" in privatem Kreise kundgibt, er habe seit zwanzig Jahren, nämlich seit seiner Schulzeit, kein Buch mehr „in der Hand gehabt". Überzeugend, wenn man bei Sonntagsreden dann aus demselben Munde Phrasen von „Kultur, die wir verteidigen müssen “ usw. vernimmt! — Oder ein anderer „Fall“: Ein Staatsbeamter aus der Kategorie der „Volkserzieher" weiß mit folgendem aufzuwarten: „Ein Buch lesen? Wozu? Ich kriege deswegen im Monat nicht mehr bezahlt!“

Ja, wozu auch? Die Fleischpreise ändern sich deswegen nicht! Die Urlaubsreise wird deswegen auch nicht billiger! Und auch der Sexkonsum bleibt davon unberührt! Freilich, ein Nachteil bleibt, mit dem man sich ab- finden muß: Man hat nicht so hohe Chancen, bei einem Quiz vielleicht ein Auto oder einen Kühlschrank zu gewinnen!

Bildung erscheint in weiten Kreisen wenig gefragt. Wenn, dann als bloßes Hilfsmittel, um vielleicht rascher „emporzukommen", um besser zu verdienen! — Doch dafür genügt durchaus bloßes Spezialwissen.

Für eine befriedigende staatsbürgerliche Bildung ist wohl unbedingt auch ein Mindestmaß an Allgemeinbildung Voraussetzung. Daß es diesbezüglich bei uns am besten bestellt sei, können auch die Optimisten nicht behaupten.

Wie schätzt man die Wichtigkeit der staatsbürgerlichen Bildimg in der Öffentlichkeit ein?

Als kürzlich das Österreichische Fernsehen eine Diskussion zum „13. März" brachte, wies der Diskussionsleiter auf die Knappheit der zur Verfügung stehenden Sendezeit hin, da im Anschluß die Übertragung eines Eishockeyspieles auf dem Programm stehe. Es kann kaum angenommen werden, daß bei der Programmdirektion deswegen Protestbriefe eingelaufen sind. Hätte man jedoch die Sendezeit für die Sportveranstaltung beschnitten, so wäre eine solche Maßnahme gewiß auf den Unwillen eines nicht kleinen Seherkreises gestoßen. Denn wer interessiert sich schon wirklich für so belanglose Diskussionsthemen wie der „13. März“? — Uns interessiert: Ob die Preise steigen. — Wie der neue Wagen aussieht, der auf den Markt kommen wird. — Wer bei den Meisterschaften den Pokal gewonnen hat. — Ob Soraya endlich heiraten wird. — Ob die Röcke dieses Jahr kürzer oder länger werden. — Ob BB.s Sex-Appeal in jüngster Zeit gelitten hat oder nicht.

Nur Karikatur? — Doch jede Karikatur kann ein Wesentliches an Wahrheit aussagen. In unserer Situation sollte das Stück Wahrheit von den Verantwortlichen nicht mehr länger ignoriert werden. Wann endlich wird „etwas“ geschehen?

Ein paar Erlässe von den Schulbehörden über „Zeitgeschichte im Unterricht" allein genügen nicht. Sie besitzen in der Praxis nicht viel mehr als Papierwert. Solange es an unseren Schulen keinen eigenen Unterrichtsgegenstand für staatsbürgerliche Erziehung gibt — eine Art „Österreich- Kunde“etwa —, ist wenig Positives in dieser Hinsicht zu erwarten. Man wird weiterhin „keine Zeit dafür haben“! Auch sollte staatsbürgerliche Erziehung nicht auf den Schulbereich allein beschränkt bleiben. Ferner müßte sie ihr Ideal darin erblicken, mit einer möglichst umfassenden Allgemeinbildung verknüpft zu sein. — Gewiß, kein bequem zu erreichendes Ziel! Doch eines Tages kann Sein oder Nichtsein davon abhängen, ob die Massen in den Demokratien des Westens eben nichts anderes als amorphe Massen sind, eine stumme .Konsumherde, die jener Seite in den Schoß fällt, die sie mit den größeren Versprechungen und wohltönenderen Phrasen füttert, oder ob man reif sein wird, die Gefahren zu erkennen und selbst zu bannen. Wer glaubt, daß Gefahren solcher Art unbedingt geringer einzuschätzen seien als jene, die uns von umgebenden Raketenabschußbasen drohen, könnte üren.

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