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Europa zwischen den Stühlen
Erinnern wir uns: Als — angebliche — Reaktion auf die „Parteinahme“ Europas und Amerikas im Nahostkonflikt hatten die arabischen Erdölförderländer nach dem Ramadan- oder Jom-Kippur-Krieg vom Oktober des vorigen Jahres beschlossen, die Rohöllieferungen an die westlichen Industrienationen so stark und so lange einzuschränken, bis diese sich zu einer „neutralen“ Haltung im NShostkenflikt bequemen, würden. Als einziges und verhältnismäßig unbedeutendes Land bekam Holland diesen Boykott scheinbar schmerzlich zu spüren. Königin Juliana und Premierminister Joop den Uyl fuhren demonstrativ per Velociped, die übrigen Bürger gingen wochenends zu Fuß und ließen schließlich eine bis heute formell nicht aufgehobene Benzinrationierung stoisch über sich ergehen. Sonntägsfahrverbote und Rationierungs-maßnahmen in den übrigen europäischen Ländern erwiesen sich zwar als vielen Menschen gar nicht ungelegene Atempause, aber auch als letzthin überflüssige Katastrophenmaßnahme. Warum?
Erinnern wir uns: Als — angebliche — Reaktion auf die „Parteinahme“ Europas und Amerikas im Nahostkonflikt hatten die arabischen Erdölförderländer nach dem Ramadan- oder Jom-Kippur-Krieg vom Oktober des vorigen Jahres beschlossen, die Rohöllieferungen an die westlichen Industrienationen so stark und so lange einzuschränken, bis diese sich zu einer „neutralen“ Haltung im NShostkenflikt bequemen, würden. Als einziges und verhältnismäßig unbedeutendes Land bekam Holland diesen Boykott scheinbar schmerzlich zu spüren. Königin Juliana und Premierminister Joop den Uyl fuhren demonstrativ per Velociped, die übrigen Bürger gingen wochenends zu Fuß und ließen schließlich eine bis heute formell nicht aufgehobene Benzinrationierung stoisch über sich ergehen. Sonntägsfahrverbote und Rationierungs-maßnahmen in den übrigen europäischen Ländern erwiesen sich zwar als vielen Menschen gar nicht ungelegene Atempause, aber auch als letzthin überflüssige Katastrophenmaßnahme. Warum?
Erlitt der Erdölboykott ein Fiasko? War die westliche Abwehrfront stärker als die arabische Erpressung? Oder behielten jene — vor allem in Israel — recht, die gegenüber den Erpressern zur Uranachgiebigkeit rieten? Nichts von alledem.
Wie wir heute wissen, fand der ölboykott im Grunde gar nicht statt. Die „sichere Quelle“ ist das Londoner Versicherungsbüro „Lloyd's“, wo ja nicht nur die berühmten Beine der Marlene Dietrich versichert sind, sondern auch sämtliche Schiffsladungen auf allen Weltmeeren. „Lloyd's“-Unterlagen bewiesen schon vor Monatafrist zweifelsfrei, daß seit Beginn des „ölboykotts“ kein Tropfen weniger als vorher aus den Bohrlöchern in die Pipelines, aus den Pipelines in die Tanker und aus den Tankern in die Depots auf amerikanischem und europäischem Boden gieflossen ist. Daß sich die als Zwischenhändler fungierenden großen Erdölkonzenne kräftig in der allgemeinen Katastrophenstimmung die Finger wuschen, versteht sich am Rande.
Was aber war wirklich los? Noch einmal: Erlitt der ölboykott ein Fiasko oder war er am Ende doch erfolgreich, und wir haben es bloß noch nicht gemerkt?
Von Fiasko kann man, so ist zu befürchten, leider nicht sprechen. Unterstellt man, für die Araber seien der Nahostkonflikt und die vorgebliche westliche Sympathie für den Judenstaat nur ein willkommener Vorwand gewesen und in Wirklichkeit sei es ihnen um eine ausgedehnte europäisch-arabische Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Sektor gegangen, dann war der Boykott ein Fiasko. Das Europa der Neun fiel nach den ersten Warnschüssen aus arabischen Pipelines in sich zusammen. Es kapitulierte vor den arabischen Drohungen wie eine zitternde Großmutter vor einem psychopathischen Bedraher. Genauer: Bei den ölproduzenten ging es den einen — dem klug rechnenden Schah-inSchah Reza Pahlewi von Persien, dem Judenmörder Achmed Hassan el-Bakr vom Irak und dem pathologischen Nasser-Aufguß Mo'ammer el-Gaddafi von Libyen — in erster Linie um handfeste und durchaus nicht unmoralische finanzielle Vorteile; den anderen hingegen — dem weisen alten König Fedsal von Saudi-Arabien, den von wildgewordenen Umstürzlern bedrohten Emiren am Persischen Golf und dem traditio-nalistischen Obersten Houari Bou-medienne von Algerien — ging es um ihr politisches Überleben.
Auf das dem Auszug der Briten auf dem Fuß folgende zielstrebige Einsickern der Sowjets nach Ägypten, Syrien und in den Irak reagierten die Araber, bis hin zu dem dramatischen Hinauswurf der rund zwanzigtausend sowjetischen „Berater“ aus dem Nilland durch Präsident Moahammed Anwar es-Sadat, mit zunehmender Abwehr. „Wozu haben wir die Engländer hinausgeworfen, wenn wir jetzt die Russen im Nacken sitzen haben?“ hieß die vielgehörte Frage. In den letzten beinahe zwanzig Jahren lautete eine vielgehörte Sentenz unter Nahostexperten, die USA brauchten nur mit einem Blankoscheck an der Eingangstür zum Kairoer Kubbeh-Pa-last anzuklopfen, um die Russen im Handumdrehen hinauszuboxen. Die Experten übersahen dabei allerdings,daß die Araber über die Amerikaner inzwischen nicht anders dachten als über die Briten und die Russen. „Wozu“, so hieß nun die Frage, „sollen wir die Russen hinauswerfen, wenn wir dann von den Amerikanern abhängig werden?“
Als Ausweg bot sich weitsichtigen arabischen Regierungen die Zusammenarbeit mit einem scheinbar unaufhaltsam zusammenwachsenden und erstarkenden Europa an. Doch das EG-Europa im Brüsseler Palais de Berlaymont fiel beim ersten Windstoß aus der arabischen Wüste in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Die EG konnte sich lediglich auf eine im Endeffekt antiisraelische Resolution einigen.
Bis Frankreichs „Jobert of Arafoia“, Italiens Moro, die vor Antritt einer Be'tteltour stehende sozialistische Internationale unter Bruno Kreisky und dem Bonner Araberliebling Wischnewski bemerken, daß sie für die Araber keine akzeptablen Partner sein können, dürfte es für sie vermutlich zu spät sein.
Was die Araber wollten, erhielten sie — durchaus wider Willen — schließlich von den USA. Deren in Deutschland geborener und im jüdischen Glauben erzogener Außenminister Henry Kissinger übernahm schließlich die Funktion, die sie den Europäern zugedacht hatten. Und Amerika dürfte folglich auch die Früchte ernten.
Insofern war der ölboykott ein Fiasko. Europa erwies sich für die Araber als ein nicht existenter Gesprächspartner.
Lohn bekam nur das ebenso kleine wie konsequente Holland. Hier entsteht demnächst die bislang größte mit saudiarabischer Beteiligung gebaute Ölraffinerie.
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