Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Heilig und unrein
Sachverstand steht hoch im Kurs, auch in der Kirche. Es wundert einen daher nicht, wenn manche Autoren schon im Titel darauf ansprechen. Nach der „Sache mit Gott“1 folgte, in der Herder-Bücherei Freiburg, die „Sache mit dem Apfel“ — eine moderne Wissenschaft vom Sündenfall. Herausgeber und Mitautor ist Joachim lilies, Professor für Zoologie an der Universität Gießen. Neun weitere Verfasser teilen sich mit ihm in die Aufgabe, die Aussagen der Bibel über den Sündenfall von allen Seiten zu beleuchten. Neben dem Herausgeber selbst, der den Mythos vom Märchen abgrenzt, bemühen sich Philosophen und Biologen, Tiefenpsychologen und Theologen um die Wertung und Ordnung der alten „Sache mit dem Apfel“.
Der Leser erlebt dabei einige, Überraschungen. Die Jahrtausende zwischen der Niederschrift des Textes und der Gegenwart hören auf, sich als Sperre des Verständnisses auszuwirken. Der Mensch vor Gott und dem Nächsten erlebt heute wie damals die gleichen Verstrickungen, Verheißungen und Strafen. Die
Scham, die zur Verhüllung führte, wird trotz aller, Enttabuisie’rungen bleiben, die Verführung, „wie Gott“ — aber eben nicht Gott selbst — sein ziu können, ist geblieben und auch die Vertreibung aus dem Land der Unschuld wiederholt sich bei jedem aufs neue.
Die Taktik der Verführung — dieses blendend gescheite Stücklein von Helmut Thdelicke ist nicht unbekannt und mit Recht in diesen Band mit aufgenommen. „Gestatten Sie bitte, verehrte Frau Eva, ich bin der Teufel, ich habe die Absicht, Sie zu verführen!“ Hätte so, sagt Thielicke, die Schlange gesprochen, wäre der Sündenfall nicht passiert. Was aber ist eigentlich wirklich geschehen?
Alfons Rosenberg, vor allem durch seine Bildmeditationen bekannt, antwortet darauf: Größe und Fall des Menschen, der urtümliche Bezug von Mann und Frau untereinander sowie deren Bezug zu ihrem Schöpfer stehen zur Diskussion. Man könne darum das Wort aus der Zauberflöte als Motto voransetzen: „Mann und Weib und Weib und Mann reichen an die Gottheit an.“ In diesem Drama wiederum ist die Versuchung selbst ein „Drama im Drama“.
Christa Meves, durch pädagogische Arbeiten bekannt, steuert den Aufsatz „Austreibung als Anstoß zur Reife“ bei. Hier wird in verständlicher Sprache eine tiefenpsychologische Deutung des Sündenfalls geboten, die sich erstaunlicherweise nahtlos an die theologische Deutung anschließt. Das bildhafte Geschehen von Genesis zwei und drei stellt, so die Autorin, einen innerseelischen Prozeß dar. Die einzelnen Gestalten werden dabei im Sinn von C. G. Jung nicht als Individuen verstanden, sondern sind Aspekte der Vielfalt im Menschen selbst. Das Geschehen wird auf der Subjektstufe erfaßt, gegliedert und dadurch vergegenwärtigt.
Mitten in die gegenwärtige Diskussion um neue Normen im sexuellen Verhalten der Menschen führt schließlich der Beitrag des Herausgebers Joachim lilies: „Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist?“ Heilig und unrein zugleich, so stellt der Verfasser fest, ist im Volk Israel die Sexualität gewertet worden. Wo höchste Freude geboten wird, ist auch tiefste Schuld am nächsten. Die Insignien der Macht über den anderen zu verhüllen, wie es der Bericht von den ersten Menschen sagt, rührt beides an Liebe und Schuld. Solange es Mann und Frau auf Erden geben wird, können sie nur in der Solidarität der Sünde miteinander „ein Fleisch“ sein. Die moralische Kategorie ist in der theologischen aufgegangen.
„Die Sache mit dem Apfel“ in ihrer Zeitlosigkeit hilft dazu, die eigene Zeit besser zu verstehen. Dieses Buch beweist es.
DIE SACHE MIT DEM APFEL. Herausgeber Joachim lilies. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau. 70 Seiten.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!