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Heimkehr in Fülle

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Große Skepsis ruft hierzulande noch dieses große zeitgebundene Arbeiten am Ausstellungsort hervor, bei dem der Künstler in Klausur oder als „artist in resi-dence“ in wenigen Wochen die Exponate für die geplante Ausstellung schafft. Der österreichische Maler und Bildhauer Ludwig Redl hat in jüngster Zeit zwei Ausstellungen in Brasilien mit auf diese Weise entstandenen Werken bestritten.

In äußerster Konzentration hat er, aus der inneren Fülle, aus geistiger und seelischer Gespanntheit schöpfend, Bilder, die mitunter die dritte Dimension für sich beanspruchen, für das Museu de Arte moderna do Rio de Janeiro und für die Galerie Anna Maria Niemeyer, ebenfalls in Rio de Janeiro, geschaffen. In wenigen Monaten wird eine dritte Schau im Museu de Arte do Rio Grande do Sul in Porto Alegre folgen.

Mythos in seiner ursprünglichen Bedeutung als ein dem Kunstwerk immanentes Mysterium, das erst dessen Aura und Wirkung auf den Betrachter ausmacht, nicht das bereits zur modischen Attitüde gewordene Schlagwort, prägt Ludwig Redls Arbeiten. Er schöpft zum einen bewußt aus der Vergangenheit, indem er mit der Methode des Strukturalismus und der Konzept Art gelebte Form wiedererweckt, Analogie zwischen Sprache und bildender Kunst, zwischen Lyrik und Malerei aufzeigt, zum anderen, indem er Unbewußtes durch die Spontaneität des sinnlichen Malprozesses beschwört.

Seit Jahren beschäftigt den Künstler die Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins und ein möglicher Analogieschluß auf die bildende Kunst sowie die bildhafte Umsetzung von Gedichten Georg Trakls und von Gedanken James Joyce'. „Der Traum“ von Georg Trakl zieht sich mehr oder weniger verschlüsselt durch Redls Oeuvre. Im „Parsif al“ spürt er Elementargewalten wie Treue und Zweifel, den Speer erhebt er zu „arma vitae, arma mortis“.

Wie manche Arbeiten Joseph Beuys' der siebziger Jahre waren die Zeichnungen Redls dieser Zeit gleichsam Tafeln der Kraftlinien zum Verständnis eines intellektuellen Bezugssystems, das seine Ästhetik in sich selbst trug. „Die Welt hat die Gestalt, die der Geist ihr gibt“, lautet ein Satz des Kunsttheoretikers Ernst Cassi-rer, der hier Gestalt angenommen hat.

In neueren malerischen Werken wird die Sinnlichkeit der Farbe und der Pinselführung in Kombination mit einer exklusiven Materialästhetik deutlich: Der Künstler erweist sich als Alchemist, indem er Kobalt, Blei, verschiedene Oxyde und kleine Fundstücke der immer noch dominierenden Malerei illusionistisch einverleibt. In einer Art von Trompe-l'oeil, dem spielerischen, in der Antike wur- ' zelnden Augen trug, der höchste

Blüte in Renaissance und Barock erfuhr, wird Malerei in Plastik übergeführt, entsteht Dialektik zwischen Fläche und Raum, zwischen Schein und Sein.

Daneben schuf Redl aber auch Plastiken aus Blei. Und es mag wohl auch kein Zufall sein, daß der an der Zeitenwende zwischen Barock und Klassizismus stehende altösterreichische Bildhauer Franz Xaver Messerschmidt Blei und Bleilegierungen als bevorzugte Materialien für seine bis heute noch nicht endgültig erklärten psychologisierenden „Charakterköpfe“ verwendete. Das Metall Blei, das sich wie kein anderes mit den Händen kneten, mit der Schere schneiden läßt und doch von besonders hohem spezifischem Gewicht ist, trägt einen besonders sanften und satten Farbton mit mattem Oberflächenschimmer zur Schau. Wie alle mit bloßer Hand bearbeiteten Materialien besitzt es auch die damit verbundene besondere sinnliche Qualität. Ludwig Redl schuf in seinen künstlerischen Annäherungen an das Mysterium poetische Protokolle zur „condition humaine“.

Ludwig Redl, 1944 in Wien geboren, war Schüler Fritz. Wotrubas, jedoch niemals mit diesem konform gehend, lebte viele Jahre in den USA, wo er als Professor für Skulptur tätig war. Nach dreijährigem Aufenthalt in London, zwei Stipendien der Stadt München und einer langen Reihe von internationalen Ausstellungen möchte er nun in seine Heimat zurück-

Ludwig Redl, Verlassenes Haus kehren. Wie viele der nun von der freieren und weltoffeneren Kunstszene Österreichs angezogene Re-migranten steht auch er vor der fatalen Tatsache, gerade hier ein beinahe Unbekannter zu sein und zusätzlich auch die Altersgrenze für viele Förderungs- und Wettbewerbsmöglichkeiten überschritten zu haben. Wenigstens die Arbeitsvoraussetzung eines zur Verfügung gestellten Ateliers sollte diesen Künstlern geboten werden.

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