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Klingeldraht und Pappendeckel

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In der Schweiz und in Schweden sind es 40 bis 50 Dollar pro Kopf (und Jahr), in Norwegen 21, in Belgien und Dänemark immerhin noch 18. Österreich begnügte sich mit 9 Dollar, anders ausgedrückt: mit knapp 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts —- und rangiert dadurch vor den weniger entwickelten Ländern Südeuropas, und Irland, etwa. Diese Zahlen, publiziert von der OECD, dokumentieren die Ausgaben für naturwissenschaftlichtechnische Forschung und Entwicklung für das Jahr 1967. In der Zwischenzeit hat sich das Mißverhältnis kaum geändert. Die Folgen sind ein Passivum der Patent- und Lizenzbilanzen, ein Abwandern der fähigsten jungen Techniker und Wissenschaftler aus Österreich. Diese gehen nicht nur der höheren Löhne wegen, sondern auch, angezogen von den wissenschaftlichen Möglichkeiten und den faszinierenden Forschungsaufgaben, ins Ausland. Derartige Sünden an der Infrastruktur, und zu dieser zählen Forschung und Entwicklung zweifellos, rächen sich bitter, Sparsamkeit auf dem Gebiet der Wissenschaft ist mit geistiger und kultureller Versteppung hoch bezahlt.

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In der Schweiz und in Schweden sind es 40 bis 50 Dollar pro Kopf (und Jahr), in Norwegen 21, in Belgien und Dänemark immerhin noch 18. Österreich begnügte sich mit 9 Dollar, anders ausgedrückt: mit knapp 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts —- und rangiert dadurch vor den weniger entwickelten Ländern Südeuropas, und Irland, etwa. Diese Zahlen, publiziert von der OECD, dokumentieren die Ausgaben für naturwissenschaftlichtechnische Forschung und Entwicklung für das Jahr 1967. In der Zwischenzeit hat sich das Mißverhältnis kaum geändert. Die Folgen sind ein Passivum der Patent- und Lizenzbilanzen, ein Abwandern der fähigsten jungen Techniker und Wissenschaftler aus Österreich. Diese gehen nicht nur der höheren Löhne wegen, sondern auch, angezogen von den wissenschaftlichen Möglichkeiten und den faszinierenden Forschungsaufgaben, ins Ausland. Derartige Sünden an der Infrastruktur, und zu dieser zählen Forschung und Entwicklung zweifellos, rächen sich bitter, Sparsamkeit auf dem Gebiet der Wissenschaft ist mit geistiger und kultureller Versteppung hoch bezahlt.

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Dieser Erkenntnis folgend, legt das „Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung“ den Entwurf einer „österreichischen Forschungskonzeption“ vor. Tenor: „Mit Klingeldraht und Pappendeckel geht es nicht mehr.“ Es scheint aber, daß Österreich, öfter als ein moderner Industriestaat es verkraften kann, sich dieser Werkstoffe bedient. Selektion und Prioritäten bei Forschungsaufgaben müssen das

Gießkannensystem, nach dem Wissenschaftsinvestitionen nur zu oft getätigt werden, endgültig ersetzen; die Vorstellung, Wissenschaft sei eine Residualgröße, ist nicht mehr aufrechtzuerhalten. „Wissenschaftlich-technische Forschung und experimentelle Entwicklung ist schöpferische Tätigkeit und Investition in die Zukunft“, es sind dies Hauptquellen des materiellen Fortschrittes. Ein Gesamtkonzept, dessen Ziel eine koordinierte und effiziente Forschung und Entwicklung ist, bedingt verstärkte Kommunikation der einzelnen Institute und Lehrkanzeln, den großzügigen Einsatz von finan ziellen Mitteln, neue Organisationsmodelle und nicht zuletzt ein Forschungsmanagement, das sich auf Wissenschaftsorganisation versteht. Als Koordinationsinstrumente schlägt dieser Entwurf des Wissenschaftsministeriums „das interministerielle Forschungskoordinationskomitee“ vor, dessen „Aufgabe es ist, die Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen auf dem Gebiet der Forschung, die mehrere Ressorts betreffen, zu koordinieren“. „Als zentrales Beratungsorgan für den Gesamtbereich von Forschung und Entwicklung ist das Wissenschaftsforum beim Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung geschaffen worden, in dem die von den Forschern, Instituten usw. vorgebrachten Wünsche und Meinungen zur Diskussion gestellt, untereinander abgestimmt und im Lichte der gesellschaftlichen Bedürfnisse geprüft werden sollen.“ Projektteams, die „je nach Bedarf gebildet und nach abgeschlossener Arbeit wieder aufgelöst“ werden, ergänzen den Steuerungsprozeß wissenschaftlicher Forschung. Diese Koordinationsinstrumente, zu denen auch die gezielte Vergabe finanzieller Zuwendungen gezählt wird, scheinen allerdings die Gefahr zu enthalten, mit der verfassungsrechtlich determinierten Freiheit der Wissenschaft zu kollidieren. „Eine ungehemmte Selbstbestimmung der Wissenschaftler“, so expressis verbis der Entwurf, „kann aber zu schweren Konflikten und Freiheitseinbußen führen, wenn ihre Arbeit nicht auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Gesellschaft abgestimmt ist, da das Wissenschafttreiben unauflöslich in die Gesellschaft eingebettet ist und da seine Ergebnisse umwälzend auf diese zurückwirken können. Es geht nicht nur darum, daß die Verwertung wissenschaftlicher Entdeckungen als Waffe oder als Umweltgift auf die Menschheit zurückfallen kann. Allein die Begrenztheit der

Mittel und das Recht der Öffentlichkeit, zu erfahren, was mit ihren Steuergeldern geschieht, bedingen die Frage nach Programmen, steuernden Entscheidungen und Ergebnisbewertungen.“ Nun, das scheint etwas vage, nicht ganz ausdiskutiert, zumal nicht jede wissenschaftliche Forschung in simpler Weise gesellschaftlich relevierbar ist.

„Wirtschaftsorientierte For schung“, der rote Faden des Forschungskonzeptionsentwurfes, „ist eine entscheidende Komponente der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmungen und der ganzen Wirtschaft. Sie leistet einen unentbehrlichen Beitrag zu einem funktionsfähigen Innovationssystem, das auf die Hervorbringung neuer, besserer und billigerer Werkstoffe, Energiequellen, Produkte, Instrumente, Verfahren und Systeme orientiert ist und dadurch zur Hebung und Fortentwicklung des technischen Niveaus der Infrastruktur und der Industrie verhilft.“ Freilich ist es eine Binsenweisheit, daß ein hochindustrialisiertes Land, eine leistungsorientierte Gesellschaft der Forschung als Unterbau bedarf, nur soll man anderseits, bitte schön, nicht in einen unkritischen Wachstumsfetischismus verfallen, Wissenschaft vermarkten, Forschung in barer Münze und verzinst überdies zurückzuerwarten und Bilanzen als ausschließliche Kriterien des Geistes verstehen.

Eines steht fest: Will Österreich den vielzitierten Anschluß nicht verpassen, nicht zum wissenschaftlichen Freilichtmuseum werden, dann muß zu einem gewandelten Wissenschaftsverständnis das Geld treten: Für die siebziger Jahre errechnete man einen notwendigen durchschnittlichen (jährlichen) Zuwachs der Investitionen von 18 bis 22 Prozent. Bis zur gewünschten Traummarke von 2 Prozent des Bruttonationalproduktes.

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