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Mehr als ein Feuerwerk

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Im abendlichen Licht dieses sich neigenden Jahrhunderts, dessen Konturen zu verdämmern beginnen,. werden die Schatten länger, die Landschaften blasser, verschwimmen die Unterschiede, und in der schattenlosen Gleichförmigkeit beginnt sich die Einheit einer Welt zu formen, deren diffuse Einförmigkeit niemand wollen kann. Dies ist die Stunde der Philosophie, und so warnt etwa Hermann Lübbe vor der Trostlosigkeit einer unterschiedslosen Weltkultur, in der alles, was an geschichtlich gewachsenen regionalen und nationalen Eigenheiten da ist, zu ertrinken droht; und Ralph Dahrendorf mahnt, in den Bindungen des Menschen an Heimat, Geschichte, Familie nicht nur Fesseln der Freiheit zu sehen: ihr „vornehmster Aspekt“ sei vielmehr gerade im schwerelosen Raum der modernen Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft, „daß sie Sinn geben“.

Aufbewahrt ist solcher Sinn in vielen regionalen Bräuchen, in Liedern, Bildern, Gedichten vergangener Jahrhunderte, und ihre Langlebigkeit wäre kaum zu erklären, wenn in ihnen nicht uralte Träume, Ängste, Sehnsüchte der Menschen lägen, die uralten Fragen nach Leben und Tod, Freiheit und Unterdrückung, Liebe und Verrat. Die Formen ändern sich mit den Zeiten und in den Kulturen, die Fragen bleiben.

Fragen zu stellen, war stets ein Impuls für die Kunst und ist es auch für die zeitgenössische, auch für die, die hier und heute aus den Regionen wächst und die für deren Selbstverständnis und Einheit ebenso wichtig ist wie die Tradition.

Kulturelle Identität freilich erkauft sich nicht, wenngleich sie verdient sein will. Das ist, auf ihren kulturpolitischen Nenner gebracht, die Konsequenz aus den Überlegungen, die der Soziologe Jürgen Habermas in einem scharfsinnigen Essay der Frage gewidmet hat: Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden? An dieser Konsequenz zerbricht jeder Traum von welcher Art Naturwüchsigkeit auch immer, und zu ihr kommt, von seiner völlig anderen Position aus, auch der große Naturrechtsdenker Johannes Messner, wenn er in seiner „Kulturethik“ feststellt, daß einerseits „die höhere Kulturentwicklung notwendig mit der Entwicklung der Stadt verbunden ist“, daß andererseits „unsere Großstädte schon seit langer Zeit im wahrsten Sinn des Wortes nur vom Zustrom aus den Landgebieten leben“, daß aber jedes „Zurück zur Natur“ nur als ein „Zurück zum Geiste“ Sinn haben könne. Kurz: Es bedarf einer Anstrengung und Leistung, um eine „vernünftige Identität“ herzustellen und sie zu bewahren.

Daß die Kraft zu solcher Leistung heute nicht selten aus der Region - jenseits von Blut und Boden - kommt, haben Untersuchungen, nicht zuletzt des nieder-österreichischen Kulturforums, mehr als einmal nachgewiesen. In einer dieser Arbeiten, „Literatur im Raum St. Pölten 1970-1985“, verweist der Autor Alois Eder auf die „Gefahr der Verprovinziali-sierung und Abkopplung vom Hauptstrom einer kulturellen Entwicklung“ und zitiert als prominenten Zeugen Manes Sperber, der in seiner Erinnerung diese Gefahr überall dort gesehen habe,„wo ein zu außerordentlichen Leistungen Befähigter sich mit dem Beifall seines Milieus zufriedengibt, ohne in Konkurrenz oder Kooperation mit Gleichrangigen zu weiteren Leistungen angeregt zu werden, wie das gewöhnlich in Metropolen der Fall ist“.

Die Donaufestival-Gesellschaft hat ihre Zielsetzungen in fünf Punkten formuliert, von denen zwei den oben skizzierten Aufgaben einer Regionalisierung weitgehend entsprechen:

• Präsentation der Regionen des Landes sowie

• Niederösterreich als Förderer seines eigenen kulturellen Potentials durch internationalen Austausch und Begegnung.

Es ist unmöglich, aus der Vielfalt des Programmangebotes jetzt alle Veranstaltungen herauszugreifen, die diesem Anspruch gerecht zu werden versuchen, aber das reicht von Ausstellungen wie „Balanceakte '88 — Neue Kunst aus Niederösterreich“ über Konzerte, literarische Veranstaltungen und Symposien bis hin zum „Film-und Videofestival“ mit seinen „Streifzügen durch das Kino der Donauländer“.

Impulse für die Regionalisierung? Eine Chance, würde ich meinen, nicht mehr, aber auch nicht-weniger. Als Höhepunkt des Eröffnungstages ist ein „Lichterfest“ mit Feuerwerk vorgesehen. Das erinnert mich an das Wort von der „unnachahmlichen Noblesse des Feuerwerks“, das als einzige Kunst nicht dauern wolle. Kulturpolitik aber muß dauern. Damit in der abendlichen Landschaft dieses Jahrhunderts die Konturen wieder hervortreten. Auf Dauer.

Das Spiel kann beginnen. Dann aber die Arbeit.

Der Autor ist Landesrat der Niederösterreichischen Landesregierung.

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