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Radikale radikal isoliert

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Nach dem Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz gibt es in der Bundesrepublik etwa hundert radikale oder terroristische Ausländergruppen mit Stützpunkten vor allem an den Universitäten und in den industriellen Ballungsgebieten. Die Mitgliederzahl wird mit rund 50.000 angegeben, doch ist die Zahl der echten Fanatiker unter ihnen natürlich sehr viel kleiner. Sie können mit der Sympathie der revolutionären deutschen Studenten rechnen, die sich fast wöchentlich an Demonstrationen bald gegen diese, bald jene ausländische Regierung beteiligen.

Dabei ist die immer mehr zusammenschmelzende „außerparlamentarische Opposition” selbst verzweifelt auf der Suche nach Verbündeten, die sie besonders unter der Arbeiterschaft sucht — mit äußerst bescheidenem Erfolg. Es gibt ja in der Bundesrepublik auch keine nennenswerte kommunistische Partei; obwohl die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) offiziell zugelassen ist, konnte sie bei keiner Wahl über die Hälfte der zum Einzug in eines der Länderparlamente nötigen fünf Prozent der abgegebenen Stimmen hinauskommen.

Wie aber macht man, als Vorstufe der Machtergreifung, eine „Volksfront” nach bewährtem Rezept ohne Kommunisten? Als Rudi Dutschke, der einstige Ideologe des zerfallenen „Deutschen Sozialistischen Studentenbundes” (SDS), seinen Wohnsitz von England nach Dänemark verlegen mußte, warb eine Aufschrift auf seinem Auto für die Zusammenarbeit der Studenten und Arbeiter. Ein Vorstandsmitglied des zu fast gleichen Teilen von dem „Sozialdemokratischen Hochschulbund” und dem „Spartakus”, der Studentenorganisation der DKP, beherrschten Verbands deutscher Studentenschaften (VDS), nebenbei einer Organisation, deren Mitglied automatisch jeder Studierende mit der Immatrikulation wird, Dirk Krüger, schrieb unlängst in dem Wochenblatt der DKP: „Gegeben ist ein gemeinsamer Feind. Gegeben sind gute Ansätze für die Zusammenarbeit, die durch die Teilnahme einer großen Anzahl von Betriebsarbeitem an den Diskussionen während der (vom VDS veranstalteten; Anm. d. Red.) Mitbestimmungswoche vertieft und verbreitert wurden. Jetzt kommt es darauf an, daß in allen Betrieben, Hochschulen und Gewerkschaftsorganisationen der gemeinsame gewerkschaftliche Kampf von Arbeitern und Studenten auf die Tagesordnung kommt und auf der Tagesordnung bleibt.”

In der Tat kam es zu einer gemeinsamen Kundgebung mit Krüger, Steffen Lehndorf und dem Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates der Ford-Werke in Köln. Auch in England werden bekanntlich die Ford- Werke am häufigsten vom Streikfieber erfaßt. Ein Zufall ist das nicht.

Tatsache ist auch, daß bei allen Wahlen der letzten eineinhalb Jahre die kommunistische Liste unter „ferner liefen” rangierte. Von den so lautstarken revolutionären Studenten keine Spur. Freilich lehnten einige ihrer Sprecher die DKP als verbürgerlicht und Moskau-hörig ab. Zu eigenen Kandidaturen von Maoisten oder Anarchisten kam es aber auch nicht. Demgegenüber beherrschen die Kommunisten und Linkssozialisten die Studentenparlamente der Hochschulen in der Bundesrepublik. An der Universität Marburg wurde zwar auch ein Sozialdemokrat gewählt, aber nur mit den Stimmen der Spartakisten. Präsident wurde ein juristischer Assistent.

Der Vizepräsident wurde noch im letzten Augenblick vom (sozialdemokratischen) Kultusminister zum Professor befördert. Planungschef ist ein Oberstudienrat, also Mittelschulprofessor, der aber der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft angehört, Koordinationsreferent ein Politologiestudent, der noch kein Examen abgelegt hat.

Der scheinbare Widerspruch erklärt sich daraus, daß die revolutionären Studenten nicht zu den politischen Wahlen gehen, die nichtrevolutionä- ren Studenten aber nicht zu den akademischen. Die Allgemeinen Studentenausschüsse werden von oft weniger als 15 Prozent der Immatrikulierten gewählt. Die anderen wollen möglichst schnell ihr Studium hinter sich bringen und mit dem allerdings meist kindisch genug argumentierenden Kommilitonen- „Establishment” nichts zu tun haben. Dadurch aber entsteht der Eindruck einer revolutionären Jugend, die es tatsächlich aber nur in Gruppen und Grüppchen gibt. Ist doch nicht jeder, der die Dienste eines Friseurs verschmäht und das ganze Jahr über in einer Art Karnevalskostüm herumläuft, ein aktiver Terrorist.

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