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Sinnvolle Arbeitsplätze
Auswege aus der Krisensituation, in der sich, seiner Ansicht nach, die Industriegesellschaften befinden, weist der bekannte deutsche Sozialdemokrat Eppler in seinem neuen Buch. Der vorliegende Beitrag ist ein Auszug daraus und behandelt den aktuellen Problemkreis einer sinnvollen Arbeitsplatzsicherung.
Auswege aus der Krisensituation, in der sich, seiner Ansicht nach, die Industriegesellschaften befinden, weist der bekannte deutsche Sozialdemokrat Eppler in seinem neuen Buch. Der vorliegende Beitrag ist ein Auszug daraus und behandelt den aktuellen Problemkreis einer sinnvollen Arbeitsplatzsicherung.
Die Erfahrung lehrt uns, daß bei dem Wettlauf zwischen Wachstum und Produktivität in den letzten zwei Jahrzehnten Arbeitsplätze nicht gewonnen, sondern verloren wurden, daß Massenarbeitslosigkeit seit zwanzig Jahren durch Verkürzung der Arbeitszeit verhindert wurde. Dies, wird künftig nicht anders sein.
Vor allem könnte ein flexibleres Angebot an Teilzeitarbeit helfen. Aber eben dieses zeigt: Rasch wachsende Produktivität ist nicht nur Gefahr für Arbeitsplätze, sie ist auch Chance. Diese Chance wird allerdings erst sichtbar, wenn wir die eingefahrenen Gleise der Wachstumsideologie verlassen.
Wenn die Produktivität der Produktion davonläuft, dann wird es möglich, bislang vernachlässigte Arbeit zu leisten oder die Arbeitszeit zu verkürzen. Beides erhöht die Lebensqualität.
Eine Produktivität, die rascher wächst als die Produktion, eröffnet Handlungsspielraum für selektives Wachstum, die Chance zu entscheiden, was wachsen soll und was nicht. Dies bedeutet politisch eine Umkehrung der Ansatzpunkte.
Wenn wir Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen, dürfen wir nicht mit einer bestimmten Wachstumsrate des Sozialprodukts beginnen, aus der sich dann neben anderem auch Arbeitsplätze ergeben, wir müssen politisch entscheiden, welche bislang vernachlässigte - ökonomisch wie ökologisch sinnvolle - Arbeit mit der überschüssigen Arbeitskraft geleistet werden soll.
Vollbeschäftigung ist eine originäre politische Aufgabe. Solange wir bei originären politischen Aufgaben immer zuerst fragen, wieviel Wachstum wir dazu brauchen, reduzieren wir unsere Handlungsfähigkeit auf die Exekution von Sachzwängen.
Wir sind heute so weit, daß wir sehr detailliert sagen können, an welchen Stellen angepackt werden muß, wenn wir mit der Arbeitslosigkeit fertig werden sollen. An Aufgaben, an Arbeiten, die ökonomisch wie ökologisch erforderlich und wünschenswert wären, fehlt es nicht. Da ist:
• der weite Bereich von Stadt- und Dorfkernsanierung, die eine weitere Zersiedlung in den Außenbezirken eindämmen kann,
• die Aufgabe des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, die der weiteren Verbetonierung der Landschaft und Verschmutzung der Luft entgegenwirkt,
• das große Gebiet alternativer Energiepolitik, von der Wärmedämmung bis zum Sonnenkollektor,
• die Wiederaufarbeitung (recycling) von Müll und Abfallstoffen.
Schließlich ist da das weite Feld von Dienstleistungen, die unmittelbar am Menschen getan werden müssen. Sie erhöhen Lebensqualität bei einer minimalen Umweltbelastung.
Wo immer von Dienstleistungen die Rede ist, trifft man auf das Vorurteil, Dienstleistungen seien letztlich unproduktiv, lebten, gewissermaßen als Kostgänger, von der Produktion. Dieser Theorie hat vor bald einhun
dertfünfzig Jahren Friedrich List entgegengehalten: „Nach ihr ist der, der ' Schweine erzieht, ein produktives Mitglied der Gesellschaft, wer Menschen erzieht, ein unproduktives. Wer Dudelsäcke ... zum Verkauf fertigt, produziert; die größten Virtuosen dagegen sind nicht produktiv.“
Ebenfalls im letzten Jahrhundert gab Jean Baptiste Say zu bedenken, daß Arbeit letztlich keine Stoffe, keine Gegenstände hervorbringe, sondern „Nützlichkeiten“. Und es leuchtet ein, daß überflüssige Verpackung weniger nützlich ist als die Arbeit einer Heilgymnastin, die Produktion von Giftgasen weniger nützlich als die Leistung eines Chorleiters, die Produktion von Feuerwerkskörpern zumindest nicht nützlicher als eine gute Fernsehsendung.
Gerade in einer Gesellschaft, die Ökonomie und Ökologie in Einklang bringen will, werden zunehmend Produktionen durch Dienstleistungen ersetzt. Langlebige Güter werden wieder mehr repariert, elektronische Information tritt an die Stelle von Papier, autogenes Training ersetzt das Medikament.
Man mag einwenden, daß in einer humanen Gesellschaft die bezahlte, professionelle Dienstleistung die Ausnahme, die gegenseitige Dienstleistung des einen am anderen die Regel sein müsse.
Dies ändert aber nichts daran, daß es heute an Musik- und Sportlehrern fehlt, nicht nur an den staatlichen Schulen, daß die Drogenberatung im argen liegt, daß die Bewährungshilfe aus Mangel an Personal wenig gegen eine hohe Rückfallquote tun kann.
Das Argument, dies alles sei nötig, aber leider nicht zu bezahlen, übersieht zweierlei: Erstens geht es hier um eine Alternative zur Arbeitslosigkeit, und es gibt nichts, was einer Gesellschaft so teuer zu stehen kommt wie zwangsweise brachliegende Arbeitskraft, ganz abgesehen davon,daßjeder Arbeitslose heute die öffentliche Hand etwa 140.000 S im Jahr kostet, also etwa die Hälfte dessen, was für eine qualifizierte Dienstleistung aufzubringen ist. Zum anderen kosten solche Leistungen nicht nur Geld, sie sparen es auch.
Hätten wir mehr Bewährungshelfer, so könnten wir ein Mehrfaches sparen beim Strafvollzug, in den heute drei Viertel unserer Straffälligen, zurückkehren. Hätten wir besseren Schulsport, so würde dies bei den Krankenkassen positiv zu Buche schlagen.
Hätten wir mehr ambulante Krankenpfleger, so könnten wir manchen Tag im Krankenhaus sparen, der teurer ist als eine Übernachtung im Hilton-Hotel in New York. Hätten wir eine bessere Gespndheitsaufklärung, so könnten wir Milliarden für Medikamente und Ärzte sparen. Daß Investitionen in Berufsausbildung sich auszahlen, ist eine Binsenweisheit.
Derselbe Prozeß, der uns Angst einjagt vor Massenarbeitslosigkeit, die rasch wachsende Produktivität, eröffnet auch Spielräume für politisches Handeln, für die Auswahl der Felder, in denen zusätzliche Arbeit zu leisten ist, die wir uns eben durch steigende Produktivität erst leisten können.
Dies gilt aber nur dann, wenn wir den ohnehin hoffnungslosen Wettlauf zwischen Produktivität und undifferenziertem Wachstum aufgeben. Wir können, wenn wir Arbeit nicht nur als Nebenprodukt von Wachstumsraten erwarten, die Freiheit gewinnen, ökonomisch und ökologisch sinnvolle Arbeit anzupacken, die bisher unerledigt blieb.
WEGE AUS DER GEFAHR. Von Erhard Eppler. Rowohlt-Verlag, Reinbek 1981. 240 Seilen
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