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So ein Volk!
Nichts ist so alt wie die letz- te Wahlprognose vor der ersten Hochrechnung. Auch in deut- schen Landen, in denen man bekanntlich mit besonders spit- zem Stift schreibt und hartem Griffel rechnet, gilt der Satz, daß die politische Statistik die Fortsetzung der kabbalisti- schen Weissagung mit anderen Mitteln ist.
So konnten Mann und Frau nach der Wahlsensation vom Wochenende auch unmittelbar nach der ersten und noch höchst vorläufigen Hochrech- nung tiefgründige Erklärungen vernehmen. Diesmal freilich fast ausschließlich von den Enttäuschten. Die Überra- schungssieger beschränkten sich-trunken vom Erfolg -auf Kurzkommentare im gängigen Jugend-Deutsch. Warum auch nicht?
Solchermaßen hat es jeder Mensch verstanden, und „Wahnsinn!“ war das Wahler- gebnis ja in der Tat. Die tief- gründigen Analysen kamen diesmal von den Verlierern, und zwar von denen, die an einen leichten Sieg geglaubt hatten. Der pfiffige Populist aus dem Saarland wies dem amtieren- den Bundeskanzler die Schuld am Sieg der konservativen Allianz zu.
Besonders beleidigt zeigten sich die Trommler in den west- deutschen Massenmedien. Am meisten hatte sie das „DDR- Volk“ enttäuscht. Trotz der Verheißung des neubelebten demokratischen Sozialismus Vogelscher Prägung hatten diese sich für den schnöden Mammon der liberalkonserva- tiven Koalition entschieden.
Lohnt es sich für so ein Pack überhaupt noch, in den öffent- lichen und privaten Medien Politik zu machen?
Selbst die „Entlarvung“ des Allianz-Chefs Schnur als Sta- si-Zuträgerknapp vor der Wahl hat die Wähler zwischen Elbe und Oder nicht mehr auf den rechten linken Weg gebracht. Ganz anders als die wohl- standssatten Bayern. Die ha- ben der SPD am selben Wo- chenende die Stimmen gege- ben, die sie der poststraußigen CSU entzogen hatten.
Was für ein Volk!
Dabei haben die Deutschen in West und Ost nichts anderes getan, als sich exakt so zu ver- halten, wie es die Politologen immer schon gewußt haben: In Zeiten, in denen es den Men- schen wirtschaftlich schlecht geht, vertrauen sie erfolgrei- chen Wirtschaftspolitikern, in Zeiten des Wohlstandes haben sie durchaus Lust auf gesell- schaftspolitische Experimente, oder wie es Professor Bert Brecht, der begnadete Politik- Didaktiker, auf den Punkt brachte: „Erst kommt das Fres- sen, dann die Moral.“
Und das heißt auf gut deutsch: Erst möchte ich für mich etwas Wohlstand - und erst dann Gleichheit für alle. Das ist zwar iveder christlich noch sozialistisch, aber, man mag es beklagen, „menschlich “
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