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Spaghettikrieg

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Geschlossene Tankstellen, kein Benzin für tausende Touristen und eine ernste Gefährdung des Ferragosta — des traditionellen italienischen Ferienbeginns: so präsentiert sich das Sonnenland am Apennin mitten in diesem Sommer. Italiens neue Mitte-Links-Regierung ist wahrhaftig nicht zu beneiden. Denn dem Druck der Tankstellenunternehmer steht auf der anderen Seite der sozialen Barrikade eine immer mißmutiger werdende Arbeitnehmerschaft gegenüber, die unter der Inflation am stärksten leidet. Diesem Druck von links und rechts, von oben und unten, von Unternehmern und Gewerkschaften versucht die Regierung mit massiven und demonstrativen Aktionen zu begegnen; ob sie sich durchsetzen kann, wird über ihr Schicksal bestimmen — aber auch über die Chance der demokratischen Kräfte. Kommunisten und Rechtsextremisten stehen bereit.

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Geschlossene Tankstellen, kein Benzin für tausende Touristen und eine ernste Gefährdung des Ferragosta — des traditionellen italienischen Ferienbeginns: so präsentiert sich das Sonnenland am Apennin mitten in diesem Sommer. Italiens neue Mitte-Links-Regierung ist wahrhaftig nicht zu beneiden. Denn dem Druck der Tankstellenunternehmer steht auf der anderen Seite der sozialen Barrikade eine immer mißmutiger werdende Arbeitnehmerschaft gegenüber, die unter der Inflation am stärksten leidet. Diesem Druck von links und rechts, von oben und unten, von Unternehmern und Gewerkschaften versucht die Regierung mit massiven und demonstrativen Aktionen zu begegnen; ob sie sich durchsetzen kann, wird über ihr Schicksal bestimmen — aber auch über die Chance der demokratischen Kräfte. Kommunisten und Rechtsextremisten stehen bereit.

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Seit kurzem dürfen die wichtigsten Lebensmit/tel in Italien lediglich zu den Ansätzen des 16. Juli verkauft werden. Die damals gültigen Preise müssen in den Geschäften genau vermerkt werden. Die Konsumenten sehen sich von der Regierung aufgefordert, Zuwiderhandlungen den zuständigen Stellen zu melden; bis Ende Jänner 1974 dürfen die Mietpreise der niederen Einkommensschichten nicht erhöht werden; einer besonderen Kommission wird die detaillierte Regelung der Materie und die spätere Neuordnung überlassen. Während eines Jahres müssen die Listenpreise für Industriegüter eingehalten werden.

Mit einem zusätzlichen Personal von 400 Beamten versucht der Ministerausschuß für die Preiskontrolle den einschlägigen Bestimmungen Achtung zu verschaffen und mit saftigen Bußen versucht die neue Regierung, den zu befürchtenden Mißbräuchen zuvorzukommen.

Die Vertreter der Industrie beschweren sich unterdessen, daß sie bei der Ausarbeitung der Antiinfla-tionsdekrete nicht um ihre Meinung gefragt wurden, während die vier Wirtschaftsminister mit den Führern der drei großen Links-Gewerkschaften konferierten. Regierungsvertre-ler geben zu bedenken, daß die Industriellen mit der Lira-Entwertung, die ihre Produkte für das Aus land verbilligte, voll auf ihre Rechnung gekommen seien.

Gerne hätte Ministerpräsident Rumor den dekretierten Preisstopp mit dem Lohnstopp verknüpft — dies vor allem deshalb, weil die Gewerkschaften bereits während der Regierungskrise erklärten, daß sie bei fortdauernder Teuerung eine Streikwelle in Szene setzen würden. Für eine solche Vorschußleistung konnten die mächtigen Gewerkschaften allerdings nicht gewonnen werden.

Falls Rumors Kabinett seine erst« und wichtigste Hürde nicht zu nehmen vermag, dürfte Italien bereits im September von einer neuen sozialen Unrast heimgesucht werden.

Der Hauptgrund, warum in Italien die Preise für Brot, Teigwaren, Reis und andere Lebensmittel in letzter Zeit erheblich gestiegen sind und kürzlich auf dem Großmarkt eine plötzliche Erhöhung von 12 bis 16 Prozent erfahren haben, ist zweifellos die Entwertung der Lira im Verhältnis zu den meisten anderen Währungen.

Die Importeure und Grossisten, die solche Verteuerungen der Auslandsprodukte als erste zu spüren bekamen, versuchten sie natürlich auf die Zwischen- und Kleinhändler abzuwälzen, die Bäckereien suchten sich bei den Kunden schadlos halten. Als die Bäcker erkannten, daß sie bei ihrer besonders im Sommer mühseligen Arbeit kaum mehr verdienten, traten sie in den Streik. Wer sich nicht an diesem Ausstand hielt und seine Kunden weiterhin belieferte, wurde von den streikenden Bäckern boykottiert. Das wenige Brot, das etwa in Neapel gebacken wurde, erreichte auf dem Schwarzen Markt den astronomischen Preis von 1200 Lire pro Kilogramm, was sich freilich nur noch die reichen Leute leisten können. Während in Neapel ganze Bäckereien in Flammen aufgingen und die Bevölkerung der Armenviertel in Protestkundgebungen ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck brachte, läßt bereits auch in anderen italienischen Regionen die Mehlversorgung zu wünschen übrig.

Dem neapolitanischen Markt 400.000 Zentner Mehl zur Verfügung gestellt zu haben, wird mit dem sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein verglichen. Rom wird über kurz oder lang nichts anderes übrigbleiben, als sich sofort größere Mengen von Basisnahrungsmitteln von den Produktionsländern zu beschaffen.

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