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Digital In Arbeit

Verlorene Tugend

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Wir brauchen gegenwärtig mehr denn je österreichische Selbstdarstellung. Sie ist notwendig für uns selbst, für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, und sie ist notwendig für unser Ansehen in der Welt. Wir können es uns einfach nicht leisten, alle fünf Jahre durch große und dazwischenliegend durch kleinere, aber dadurch nicht weniger verwerfliche Skandale von uns reden zu machen und damit alle großen Leistungen und Erfolge österreichischer Arbeit und österreichischer Politik zu überdecken.

Diese großen Leistungen österreichischer Arbeit und österreichischer Politik existieren, angefangen von dem Wiederaufbau unserer zerstörten Heimat und unserer darniederliegenden Wirtschaft bis hin zu unserer politischen Stellung, die wir uns aufgrund unserer Neutralität erworben haben, weil wir diese Neutralität nicht als bequemes Ruhekissen verwendeten, sondern als ein Engagement für die Menschlichkeit, als ein Engagement für den Frieden. Ich erinnere daran, daß es Österreich gewesen ist, das schon ein Jahr nach der Erklärung der immerwährenden Neutralität eine Asylpolitik in Europa begonnen hat, wie sie bis dahin noch von keinem anderen Staat gehandhabt wurde.

Wir haben Leistungen auf technisch-wissenschaftlichem Gebiet in einem Ausmaß erbracht, mit dem wir uns in der Welt sehen lassen können.

Wir haben uns auch einen kulturellen Ruf erworben und den, den wir besessen haben, in einem Maß erweitert, daß wir heute zu den großen Kulturnationen dieser Welt gezählt werden.

Und dennoch beginnt das Ausland sich ein abträgliches Bild von uns zu machen und auch im Inland, und das scheint mir noch weit gefährlicher, werden alte und junge Mitbürger langsam irre an der Lauterkeit der Menschen unseres Volkes und damit an der

Zukunft unserer Republik.

Es ist nicht meine Aufgabe, darüber zu reden, was notwendig ist, um die jeweils Schuldigen zu bestrafen. Auch für mich sind die wirtschaftlichen Folgen dieses letzten Skandales noch nicht absehbar. Es werden sicher manche sehr schwere Operationen notwendig sein, die schmerzhaft sind und die vor allem auch Unbeteiligte und Unschuldige über sich ergehen lassen müssen. Aber um dieser steten Periodizität der

Skandale in unserem Land ein Ende zu machen, ist es wohl unabdingbar, daß wir nach Wegen Ausschau halten, die diesen stets wiederkehrenden Eintritt von Skandalen einmal endgültig unterbrechen.

Wir müssen den Boden säubern, in dem sich der Bazillus der Unredlichkeit, des wachsenden Egoismus, der Doppelzüngigkeit, der Pflichtvergessenheit und mancher anderer Krankheiten gesellschaftlicher Natur eingenistet hat. Manche Gesetzesänderungen werden dazu notwendig sein. Unverzichtbar aber scheint mir auf jeden Fall eine moralische Aufrüstung. Mit ihr müssen wir beginnen.

Aber wir dürfen dabei nicht das gewohnte Spiel spielen, nämlich daß wir von einer Partei auf die andere, von einer Berufsgruppe auf die andere, von einem Bundesland auf das andere mit erhobenem Finger zeigen oder auch selbst individuell stets den Fehler im anderen sehen.

Wir alle, wo immer wir stehen, tragen Verantwortung dafür, daß Österreich wieder ein Land wird, das ob seiner Sauberkeit bekannt ist. Wir müssen in den Familien ebenso wie in den Schulen die charakterliche Erziehung ernster nehmen, und wir müssen uns dessen bewußt sein, daß zur Erziehung auch unabdingbar das Beispiel des Erziehenden gehört.

Wir müssen erkennen, daß es kein zusätzliches Maß an Freiheit, sondern eine Verstrickung in Leidenschaften bringt, wenn wir die Tugenden verkümmern lassen, wie etwa Wahrhaftigkeit, Redlichkeit, Treue, Ehrlichkeit, Verantwortungsgefühl, Freude an der Arbeit, Pflichtbewußtsein und auch die Fähigkeit, im Genüsse maßzuhalten. Setzen wir den sogenannten Kavaliersdelikten ein Ende, die das Gewissen in einem Maße grobmaschig gemacht haben, das seine Folgen trägt!

Uber Parteigrenzen, über weltanschauliche und über berufsmäßige Trennungslinien hinweg, beginnen wir gemeinsam und bis in die Wurzeln hinein die Sümpfe und die sauren Wiesen, von denen ich vor fünf Jahren sprechen mußte, trockenzulegen. Und ich meine damit nicht jene Sümpfe und saure Wiesen, die in Gottes freier Natur bestehen, sondern ich meine damit jene Sümpfe und jene sauren Wiesen, die sich im wirtschaftlichen, im gesellschaftlichen und auch im persönlichen Leben unmerklich eingenistet, aber vielfach schon erheblich breitgemacht haben.

Es gibt keine andere Wahl, jenes Selbstvertrauen für uns Österreicher wieder zu gewinnen und jenes Ansehen im Ausland wiederzuerlangen, das uns aufgrund der vielen positiven Leistungen, die wir im Laufe der letzten Jahrzehnte erbracht haben, in der Tat gebührt. Wir müssen uns auf die moralischen Werte des Lebens, auf die moralischen Werte der Gesellschaft rückbesinnen, damit wir einen Weg in die Zukunft gehen können, in dem wir Alten den Jungen frei in die Augen sehen können, und die Jungen den Alten.

Aus der Rede bei der Eröffnung der Kla-genfurter Holzmesse am 9. August 1985.

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