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Was soll ein „Führer“?

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Erschrecken Sie bitte nicht, die folgenden Zeilen enthalten keinerlei politische Nostalgie-Reminiszenzen an die heute so modisch-beliebte tausendjährige Ära von 1933 bis 1945, der „Führer“, von dem jetzt die Rede sein soll, ist ein ganz anderer; er kommt im Titel eines neuerschienenen Buches vor und ist das Schlüsselwort zu dessen Besprechung.

Was findet sich im Lexikon zu dem Begriff „Führer“? Im dtv-Lexikon Band 7, Seite 60 steht zu diesem Stichwort unter 6) „Buch für Fremde, das Sehenswürdigkeiten eines Ortes oder Landes beschreibt“ und weiter 7) „Leitfaden, Lehrbuch'“. Damit ist die Absicht des kürzlich herausgekommenen „Reclams Filmführer“ (Verlag Philipp Reclam jun. Stuttgart, 720 Seiten mit 117 Abbildungen) von Dieter Krusche, Mitarbeit: Jürgen Labenski ja bereits eindeutig definiert — und Filmexperten, die dem Werk Mangel an diesem oder jenem, Fehlerhaftigkeit da oder dort und vor allem Unvollständigkeit vorwerfen, sind in einem großen Irrtum: Das Buch ist eindeutig als „Buch für Fremde“, also Übersicht für Laien gedacht, ein Leitfaden für Filminteressierte — aber nicht für Fachleute (genausowenig wie ein „Theaterführer“ oder „Opernführer“ und so weiter etwas für Theater-, Opern-Experten ist, die das, was drin steht, -ohnedies wissen, zumeist

— oder manchmal, gewöhnlich glauben sie es ja nur besser zu wissen, sogar besser — die sicher aus eigener Kenntnis manches vermissen werden. Und hier ist gleich Ansatzpunkt zwei: Natürlich wird jeder, der auch nur ein wenig Ahnung vom Film hat, dies oder jenes vermissen

— es gibt kein einziges komplettes, vollständig zufriedenstellendes Buch über das Allgemeingebiet Film (was jede Vernunft sagen muß!); eine Auswahl — selbst wenn etwa 1000 Filme genannt sind — kann nicht komplett sein und muß subjektiv ausgewählt sein (man zeige mir einen „objektiven“ Menschen — das kann eine Maschine, ein Computer sein, eventuell, denn auch dieser ist von Menschen konstruiert und daher nicht vollkommen, aber niemals ein lebender Mensch!)

Auf der rückwärtigen Umschlag-seite steht über die im Buch vorkommenden Filme, daß sie von dem Autor ,yals wichtig' ausgewählt wurden“. Nun, darüber kann man selbstverständlich streiten — denn in der Kritik, die jeder Selektion vorausgeht, ist der subjektive Geschmack selbstverständlich, und das ergibt für jeden einzelnen einen anderen „Wichtigkeits“-Grad. Ich gebe durchaus zu, daß ich mit vielen Filmen, die unter den 1000 aufgezählt, mit Original- und deutschem Titel, Produktionsland und -jähr sowie der Stabsliste (Regisseur, Drehbuchautor, Kameramann, Hauptdarsteller), einer Zusammenfassung des Inhaltes und einer charakterisierenden Analyse beschrieben sind, gar nicht einverstanden bin, da ich sie persönlich niemals als nur annähernd „wichtig“ bezeichnen würde (darunter manche Faßbinder-, Warhol- und deutsche Filme etwa), mir dafür aber einige andere fehlen, so Forsts „Maskerade“, Pabsts „Der Prozeß“ — womit ich mich aber keinesfalls als blinder Lokalpatriot ausweisen möchte (denn was der Autor ansonsten über den österreichischen Film schreibt — Seite 185 — ist durchaus ausreichend und sachlich richtig!) — oder Capras „Lost Horizon“, Raoul Walshs „The Thief of Bagdad“, viele Western,Dies ist nicht weniger subjektiv als es dem Buchautor ebenfalls zuzubilligen ist, sein muß?

Was immer man auch vom Standpunkt des Fachmannes selbst dazu sagen muß, für den Laien ist „Reclams Filmführer“ — abgesehen von den etwa 1000 Filmen noch mit einem Überblick über das Werk von etwa 100 Regisseuren (über deren Auswahl sich natürlich ebenso streiten ließe!) und etaei- kurzen geschichtlichen Zusammenfassung nach Ländern gegliedert versehen — auf jeden Fall ein empfehlenswertes Nachschlagewerk, das vor allem für diesen eine Bedeutung bat: Wenn er einen Film im Fernsehen gesehen hat, zumindest, soweit es sich um einen halbwegs wertvollen handelt, kann er in dem Buch nachschlagen und sich erinnern; und dasselbe gilt auch für Filme, die er angekündigt findet und sich darüber informieren will. Und unter dem Wust soviel wertloser Neuerscheinungen ist damit ja schon eine verdienstvolle Funktion gegeben!

Ich persönlich würde mir aber nun einen zweiten Band wünschen, mit ebenfalls weiteren etwa 1000 Filmen, die von mir (mit)ausgesucht wären; dann wäre ich sicher ganz zufrieden! Und das gilt für die anderen Kritiker dieses Buches vermutlich genauso ...

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