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Weder Gott noch „Allah“

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„Bei euch wird nicht geschossen? Ihr könnt ohne Angst vor einer Kugel über die Straße gehen? Ja, könnt ihr etwa eine Nacht lang schlafen, ohne jede Gefahr?“ Die beiden zwölfjährigen Libanesinnen starrten den österreichischen Journalisten fassungslos an. Aufgewachsen in zwölf Jahren des Krieges, konnten sie nicht verstehen, daß es auf der Welt einen Punkt geben könnte, wo das Morden und die Angst nicht selbstverständlicher Alltag sind.

Zwölf Jahre Krieg haben die Menschen im Libanon psychisch und physisch ausgezehrt.

Einer Mutter etwa gelingt es nicht, ihre fünf Kinder ausreichend zu ernähren, das Essen reicht nur für drei von ihnen. Deshalb müssen jeweils zwei Kinder einen Tag hungern, sie bekommen erst am darauffolgenden Tag wieder Nahrung, die nächsten beiden setzen dann am übernächsten Tag aus.

Peter Bleibtreu ist für die ORF- Serie „Orientierung“ im Libanon unterwegs und schilderte der FURCHE jene beiden Erlebnisse. Er sieht die Zukunft des Libanon alles andere als rosig: „Es beginnt nun wirklich an die Substanz zu gehen, vor allem bei den Christen, denn die Moslems haben zumindest noch das immens große Hin-

terland von gleichgesinnten Regierungen - etwa das Chomeini- Regime — hinter sich.“

Um auf die Lage des Libanon aufmerksam zu machen, reist auch der libanesische Priester und maronitische Ordensmann, Pater Etienne Sacre, durch Europa. Er fordert Unterstützung und appelliert an die Solidarität: 80 Prozent aller Christen und aller

Moslems seien für den Frieden. Dieser sei auch möglich, würden die fremden Mächte, die den Krieg inszenierten, das Land verlassen.

Ob Christen, Moslems oder Palästinenser, auf der Strecke bleiben jedenfalls immer die Ärmsten, das einfache Volk. Peter Bleibtreu: „Die reichen Palästinenser sitzen in Kuwait oder in Saudiarabien, die reichen Christen an der Cöte d’ Azur, der Großteil der Bevölkerung hat diese Möglichkeit nicht Denen geht es mit jedem Tag schlechter, ob sie nun im christlichen oder moslemischen Teil des Landes leben.“ Neben dem täglichen Terror des Krieges tun auch noch eine über

1000 Prozent liegende Inflation, ein seit 15 Monaten nicht mehr zu- sammengetre.tenes Kabinett sowie eine kaum mehr existente Verwaltung ein übriges.

Sind die Probleme des Libanon überhaupt noch lösbar? Wären die emotional aufgeheizten Menschen noch fähig, miteinander zu leben, zu verzeihen, auch wenn der eigene Sohn erschossen wurde?

Viele Libanonkenner vergleichen die Situation im Libanon mit Österreich zwischen 1934 und 1938. Denn die Religionsgemeinschaften stellen vielfach weniger Glaubens- als vielmehr kulturelle Clangemeinschaften dar. Und deren Köpfe hetzen — oft aus dem Ausland — die Menschen auf, schüren die Gruppenegoismen.

Religiöse Gegensätze in diesem Ausmaß dürfte es eigentlich gar nicht geben, sind doch viele humanitäre Wurzeln bei beiden Religionen dieselben. „Das Wort der Schrift wäre vielleicht auch die einzige Basis, auf der sich beide Seiten noch verständigen könnten“, meint der Journalist Bleibtreu: „Auch in einer christlichen Kirche hören sie ja bei jeder Messe das Wort .Allah —denn auf ar a- bisch heißt .Gott nun einmal .Allah …“

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